Pro und Contra
Soll man Kindern vom Osterhasen erzählen?

Aleksandra Kaurin: Ja!
Für kleine Kinder ist das Osterhasenritual eine schöne Gelegenheit, ihre Vorstellungskraft anzuregen. Es fördert Empathie und Mentalisierungsfähigkeit, also die Fähigkeit, Gedanken und Gefühle bei sich selbst und anderen zu verstehen, wenn sie sich fragen: Wo könnte der Osterhase die Schoko-Eier versteckt haben? Es stärkt Beziehungen, wenn Erwachsene diese Geschichte in einem symbolischen Spiel verkörpern: mit den Kindern den Garten beobachten, flüstern, gemeinsam spekulieren ... Solche wiederkehrenden Rituale schaffen Nähe und Vertrauen: Es tut Kindern gut, zu erleben, dass sich Dinge in den ersten Lebensjahren wiederholen, bestimmte Symbole immer wieder auftauchen und Erwachsene sich auf ihre kindliche Welt empathisch einlassen. In der sogenannten »magischen Phase«, einer Entwicklungsphase zwischen etwa zwei und sechs Jahren, unterscheiden Kinder nicht zwischen Vorstellung und Realität. Allerlei Fantasiewesen sind für sie real. Dem mit erwachsener Rationalität zu begegnen, verunsichert sie. Das gemeinsame Osterhasenspiel nimmt die Kinder in dieser Phase ernst. Es hilft ihnen, die Welt emotional zu verarbeiten, die sie noch nicht vollständig verstehen, und Ängste und Wünsche symbolisch auszudrücken.
Falsch wäre es, Kinder anzulügen – doch Kinder spüren gemeinhin den Unterschied zwischen einem symbolischen Spiel und einer bewussten Täuschung. Den meisten dämmert irgendwann, dass die Sache mit dem Osterhasen irgendwie unlogisch ist, oder sie machen Beobachtungen, die sie zweifeln lassen. Meist passiert das in gegenseitigem Einvernehmen, wenn die Ankündigung des Osterhasen auf Seiten der Kinder und Eltern zunehmend ironisch wird. Man sollte keinesfalls darauf bestehen, dass es den Osterhasen »wirklich« gibt, sondern genau beobachten und fragen: Was glaubst du? Das überlässt den Kindern die Entscheidung, ob sie bereit sind, mit dieser Phase abzuschließen. Dann kann man gemeinsam würdigen, dass der Osterhase ein schönes Ritual war.
Wichtig ist, dass der Abschied nicht abrupt erfolgt. Solange die Kinder Freude daran haben, sollte man das Spiel nicht einfach beenden, indem man sagt: »Den Osterhasen gibt’s gar nicht.« Oder sich gar darüber lustig machen, dass sie »immer noch« daran glauben. Sie merken irgendwann selbst, dass sie sich in das Osterhasenspiel nicht mehr so versenken wie früher. Dann ist der Abschied graduell, und der Osterhase wird für sie zu einem schönen Teil ihrer Kindheit. Denn letztlich geht es ja nicht darum, ob es den Osterhasen »wirklich« gibt, sondern um die Nähe und Freude, die das Ritual schafft.
Albert Biesinger: Nein!
»Wenn ich die bösen Kriege und die Naturkatastrophen sehe, dann kann ich mich ja gleich umbringen« – so wörtlich ein achtjähriger Junge vor ein paar Wochen. Der Osterhase wird diesem Kind nicht weiterhelfen. Ostern aber schon, weil Ostern der Tod des Todes und des Bösen ist.
Kinder haben ein Recht auf authentische religiöse Bildung. Belässt man es beim Osterhasenfest, betrügt man sie um den weiten Sinnhorizont der Auferstehungshoffnung. »Der Tod wird sich vor dem Leben verbeugen.« Luis Zambrano, peruanischer Dichterpriester am Titicacasee, hat es eindrucksvoll so formuliert. Als Kind auf einem kleinen Bauernhof habe ich es oft erlebt: Aus einem von einer Henne ausgebrüteten aufbrechenden Ei schaut plötzlich ein kleines Küken … Aus dem Ei kommt neues Leben. Dass Eier zu einem wichtigen Symbol für Ostern geworden sind, hat also zunächst tiefen Sinn.
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Ostern ist der Ausbruch aus dem Nichts des Todes hinein in neues Leben. Die Umklammerung des Todes wird regelrecht aufgebrochen. Ich bin mehr als mein biologischer Körper. Ich verlasse eines Tages meinen Körper so wie das Küken seine Umhüllung durch das Ei. In der Auferweckung Jesu Christi öffnet sich Leben.
Die »Osterhasen« kommen aus der bäuerlichen Kultur: Im Frühjahr kehren sie aus den Wäldern zurück auf die Wiesen und Äcker. Hasen sind Symbol von Fruchtbarkeit, von sich erneuerndem Leben. In vielen Ostergottesdiensten werden bis heute Körbe mit gebackenen Osterhasen und gefärbten Eiern gesegnet. Mancherorts gibt es das Ritual, mit einem Ei sich gegenseitig anzustoßen und damit die Schale aufzubrechen. Ostereier und Osterhasen können für manche also ein Weg sein, das Ostergeheimnis zu verstehen. Dass die Schokoladenindustrie aus Ostern ein großes Geschäft macht, lenkt zwar davon ab, aber wir haben die Möglichkeit, es zu durchschauen.
Manche Eltern aber flüchten in die Lüge vom Osterhasen, weil sie davor zurückschrecken, Kinder mit so schwierigen Themen wie Tod und Auferstehung zu konfrontieren. Im schlimmsten Fall halten sie dann später auch den christlichen Glauben für nichts als ein Märchen.
»Ostern pur« ist Kindern zumutbar, wenn man ihre Fragen kindgerecht beantwortet. Sie reflektieren und fühlen tiefgründiger, als manche denken. Für sie kann Ostern angesichts von Leid und Krieg zur Hoffnungsbotschaft werden, wenn sie es entsprechend erleben und feiern können: In der heiligen Woche werden auch ihnen Brot und Wein im Abendmahlssaal, die Tragödie des Karfreitags und das in die dunkle Kirche hinein gesungene Osterlicht zur berührenden Wegweisung.
Aleksandra Kaurin ist Professorin für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie und Psychotherapie an der Bergischen Universität Wuppertal.
Albert Biesinger, geboren 1948, ist emeritierter Professor für Religionspädagogik.

Georg Lechner 15.04.2025, 14:17 Uhr:
Der Grat zwischen einer kindgerechten Erzählung vom Osterhasen und der Lüge ist meines Erachtens sehr schmal.