Pro und Contra
Soziale Medien für Kinder und Jugendliche verbieten?
Christian Montag: Ja!
Zunächst sollte man festhalten: Die Frage, wie hoch das Eintrittsalter von Jugendlichen auf den sozialen Medien sein sollte, ist nicht eindeutig zu beantworten. Die wissenschaftliche Literatur zeigt jedoch, dass zahlreiche Herausforderungen durch die sozialen Medien entstanden sind.
Dazu gehören zum Beispiel Cybermobbing oder der fehlende Jugendschutz bei nicht-altersadäquaten Inhalten. Aber auch die suchtähnliche Nutzung sozialer Medien und die Körperunzufriedenheit durch die ständige Konfrontation mit unrealistischen Schönheitsidealen sind problematisch. Diese Probleme treffen besonders junge Menschen, die sich mitten in ihrer Identitätsentwicklung befinden. Und diese Entwicklung findet heutzutage zunehmend im digitalen Raum statt. Das führt zu einem weiteren Problem: dem sozialen Aufwärtsvergleich, dem vor allem junge Menschen in der Entwicklungsphase online ausgesetzt sind. Das Resultat des ständigen Vergleichens ist: Es macht sich Unzufriedenheit breit, weil woanders die Wiese immer grüner scheint.
Deshalb spreche ich mich für deutlich mehr Jugendschutz auf den Plattformen aus, ebenso für eine stärkere Regulierung, besonders was die Altersverifikation bei der Anmeldung auf einer Social-Media-Plattform betrifft. Eine Social-Media-Nutzung ab 13 Jahren wäre meiner Ansicht nach vertretbar, früher nicht. Doch auch bei Jugendlichen, die älter als 13 Jahre sind, sollte die Nutzung sozialer Medien von Eltern begleitet werden – zum Beispiel, indem die Plattformen vorher gemeinsam angeschaut werden und regelmäßig Gespräche über das dort »Erlebte« stattfinden. Für das Einstiegsalter ab 13 habe ich mich, gemeinsam mit einem Experten-Team, in einem Fachartikel ausgesprochen, der kürzlich erschienen ist.
Zu erwähnen ist außerdem, dass die Industrie in den vergangenen Jahren versucht hat, mit Produkten wie »Instagram Kids« die Altersbarrieren weiter nach unten zu setzen. Diese Bemühungen, um Minderjährige zu werben, ist nur eines der bereits genannten Probleme rund um die sozialen Medien – und ein Grund dafür, sicherzustellen, dass Kinder nicht auf den Plattformen unterwegs sein sollten.
Darüber hinaus brauchen wir deutlich mehr Studien, die die Vorteile und Nachteile der sozialen Medien im Jugendalter im Längsschnitt abbilden. Es geht schließlich auch um die digitale Teilhabe junger Menschen, die eine zu hohe Altersbeschränkung erschwert.
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Sebastian Gutknecht: Nein!
Digitale Angebote haben einen zentralen Stellenwert in der Lebenswelt junger Menschen. Diese Angebote sollten ihnen nicht einfach vorenthalten werden. Junge Menschen haben im modernen Kinder- und Jugendmedienschutz auch ein Recht auf Befähigung und digitale Teilhabe.
Denn klar ist: Kinder und Jugendliche müssen vor Risiken wie Cybergrooming oder Sextortion geschützt werden. Ein moderner Medienschutz zielt nicht darauf ab, Kinder und Jugendliche durch Verbote von digitalen Plattformen auszuschließen, sondern muss »vom Kind aus gedacht« werden. Folglich müssen auch die Kinderrechte auf Befähigung und digitale Teilhabe im Fokus stehen – so wie es die UN-Kinderrechtskonvention vorsieht.
Deshalb geht ein pauschales Social-Media-Verbot für unter 16-Jährige, wie es Australien einführen will, aus meiner Sicht zu weit. Die Diskussion sollte sich daher nicht mit dem »ob«, sondern vielmehr mit dem »wie«, also der Gestaltung des Umgangs mit Medien, beschäftigen.
Die bei der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ) verortete Stelle zur Durchsetzung von Kinderrechten in digitalen Diensten (KidD) ist dafür zuständig, die Kinderrechte für eine sichere digitale Mediennutzung durchzusetzen. Der Schwerpunkt liegt auf der Regulierung von deutschen Plattformen. Diese sind verpflichtet, wirksame strukturelle Vorsorgemaßnahmen umzusetzen, zum Beispiel Melde- und Abhilfesysteme, Verweise auf Hilfsangebote, Elternbegleittools oder sichere Voreinstellungen wie die Altersüberprüfung. Nur so kann ein durch die Plattformen vorgegebenes Mindestalter wirksam überprüft werden. Grundsätzlich müssen strukturelle Vorsorgemaßnahmen auf die Angebote individuell angepasst sein und den plattformspezifischen Risiken gezielt begegnen. Auf diese Weise können soziale Netzwerke von Grund auf sicherer gestaltet werden und Kindern und Jugendlichen eine risikoarme, digitale Teilhabe ermöglichen.
Es zeigt sich: Eine effektive Rechtsdurchsetzung bietet jungen Menschen die Möglichkeit, digitale Lebenswelten sicher und altersgerecht zu erkunden. Ein reines Verbot würde sie vermeintlich schützen, könnte dann aber dazu führen, dass sie einen kompetenten Medienumgang möglicherweise nicht erlernen oder die Angebote heimlich nutzen. Deshalb sollte es unser Anliegen sein, Social-Media-Plattformen zu einem geschützten, digitalen Raum zu machen – immer mit dem Ziel, Kindern und Jugendlichen ein sicheres Aufwachsen mit Medien zu ermöglichen.
Christian Montag ist Professor an der Universität Ulm und erforscht seit vielen Jahren den Einfluss von Technologien auf die Gesellschaft. Sein Buch »Zwischen Bildschirmen und Bäumen« erschien 2023. Aktuell führt er eine Studie zum Thema digitales Wohlbefinden durch.
Sebastian Gutknecht ist Jurist und Direktor der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ) in Bonn. Er ist Autor zahlreicher Fachpublikationen zum gesetzlichen Jugendmedienschutz.
Haab Gustav 30.12.2024, 10:50 Uhr:
Es gibt keine Sicherheit-auch im Internet nicht! Aber es ist die einzig mögliche Chance, Jugendliche vor schwerwiegenden psychischen Erlebnissen wenigstens einigermaßen zu schützen!