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Dieser Artikel stammt aus
Publik-Forum, Heft 7/2021
Der Inhalt:
Politik & Gesellschaft
Religion & Kirchen

Die Stimme eines prallen Lebens

von Thomas Winkler vom 16.04.2021
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Rezitation. 74 Jahre ist Marianne Faithfull nun alt, sie hat nicht nur die Swinging Sixties und Mick Jagger überlebt, sondern auch eine Heroinsucht, Bulimie, Brustkrebs, mehrere Selbstmordversuche, Obdachlosigkeit und ungezählte Zigaretten. Kein Wunder, dass das Virus ebenfalls kapitulieren musste. Allerdings war es knapp: »Ich war an einem dunklen Ort, vermutlich war es der Tod«, erzählte sie der Zeitung The Guardian, nachdem sie die Covid-19-Erkrankung überstanden hatte. Die Infektion hatte im vergangenen Frühjahr die Aufnahmen zu »She Walks in Beauty« unterbrochen, aber nun ist das neue, 21. Album der vom Popstar zur großen Interpretin gewachsenen britischen Musikerin zu hören. Allerdings singt Faithfull nicht mehr. Ihre schon zu Zeiten ihres größten Erfolgs, dem Album »Broken English« von 1979, ramponiert klingende Stimme ist nur noch zum Sprechen geeignet. Mit dieser brüchigen, jedes Lebensjahr bezeugenden Stimme trägt sie nun Poeme großer Dichter englischer Sprache vor. Die Reime von Percy Bysshe Shelley, John Keats oder William Wordsworth, die Faithfull ausgewählt hat, kennt sie zwar zum Großteil seit ihrer Schulzeit, aber sie handeln wohl nicht zufällig immer wieder vom Tod und vom Sterben. Ihr musikalischer Partner Warren Ellis, der sonst vor allem mit Nick Cave, einem anderen Dichter der Apokalypse, zusammenarbeitet, hat eine diffizile, bisweilen böse dräuende Ambient-Unterlage geschaffen, über der Marianne Faithfull nun, so scheint es, ihre eigene Grabesrede hält. Das ist irritierend, aber auch souverän und beeindruckend.

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