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Dieser Artikel stammt aus
Publik-Forum, Heft 22/2024
Der Inhalt:
Religion & Kirchen

Pro und Contra
Soll palliative Versorgung Suizidbeihilfe einschließen?

Die Palliativmedizin lindert Symptome wie Schmerzen, Atemnot oder Übelkeit, sie verbessert die Lebensqualität in der letzten Lebensspanne. Beihilfe zum Suizid gehört nicht dazu. Sollte sich das ändern?
vom 19.11.2024
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Die Palliativmedizin lindert schweres Leid am Lebensende, sie ermöglicht Lebensqualität. Sollte sie auch Suizidbeihilfe anbieten? (Foto: istock by Getty / David Gyung)
Die Palliativmedizin lindert schweres Leid am Lebensende, sie ermöglicht Lebensqualität. Sollte sie auch Suizidbeihilfe anbieten? (Foto: istock by Getty / David Gyung)

Matthias Thöns: Ja!

(Foto: Olaf Gellisch)Im Palliativgarten Herne werden Menschen mit ihrem Wunsch zu sterben nicht im Stich gelassen: Palliativversorgung umfasst dort explizit auch das Angebot einer Freitodhilfe – zu Hause oder im Palliativgarten. Der ist ein Kleingarten mit Gartenhaus, den palliativ versorgte Menschen nutzen können, um einmal etwas anderes als ihr Krankenzimmer oder das Pflegeheim zu sehen. Getragen wird er von einem Palliativberatungsverein.

Dieser Artikel stammt aus Publik-Forum 22/2024 vom 22.11.2024, Seite 8
Aufgeben hilft nicht
Aufgeben hilft nicht

Die meisten Beschwerden in schwerer Krankheit oder am Lebensende lassen sich gut lindern, die zunehmende Schwäche, die Hilflosigkeit, das Angewiesensein auf Pflege, eine Harn- und Stuhlschwäche allerdings kaum. Und gerade da sagen viele: »Davor habe ich große Angst. Das will ich nicht erleben, das ist für mich würdelos. Dann möchte ich eher sterben.«

Mir erschließt sich nicht, dass auf der einen Seite Freitodhilfe ein Grundrecht ist und leidloses Sterben möglich, dies aber bislang aus der Palliativmedizin rausgehalten und an Sterbehilfevereine abgeschoben wird. Deren medizinische Kompetenz ist sehr unterschiedlich. Manche verwenden immer noch absurde Medikamentencocktails, die immer wieder nicht zum Tod führen und Menschen kränker als zuvor zurücklassen. Freitodhilfe geht nicht per Rezeptblock; die »eine Pille« gibt es nicht. Es braucht fachärztliche Kompetenz, wenn die Hilfe zur Selbsttötung wirklich sicher und leidlos sein soll.

Die Mehrheit der Bevölkerung, aber auch der Menschen mit einem ärztlichen, pflegerischen oder juristischen Beruf ist der Auffassung, dass es Hilfe zur Selbsttötung bei Freiverantwortlichkeit (daher »Freitodhilfe«) geben sollte.

Immer wieder wird suggeriert, gerade auf einsame und arme Menschen werde mittels Hinweis auf die Freitodhilfe Druck ausgeübt, aus dem Leben zu scheiden. Das ist widerlegt. In der Schweiz wird Suizidhilfe vor allem von höher Gebildeten und Einkommensstärkeren erbeten.

Wenn die Betroffenen die Gewissheit haben, dass ihnen das palliativärztliche Personal auch dann weiterhelfen wird, wenn es nicht gelingt, die Beschwerden zu lindern, wirkt das vielfach Wunder. Den allermeisten reicht diese Gewissheit. Die Schweizer Sterbehilfeorganisation Dignitas erklärt, dass sich von allen Personen mit einem »provisorischen grünen Licht für eine Freitodbegleitung« nur 13,2 Prozent ein todbringendes Rezept haben ausstellen lassen. Eine 90-jährige Frau sagte mir jüngst, nachdem ich sie beraten hatte: »Nach Ihrem Besuch kann ich mit großer Gelassenheit die kommende Zeit leben.«

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Thomas Sitte : Nein!

(Foto: Valentin Sitte)Suizidassistenz ist keine ärztliche Aufgabe. Und Freitodhilfe ist eine euphemistische Umschreibung für Tötungshilfe. Suizidassistenz ist in jeder Form durch jeden Helfer legal. Aber einem Menschen bei seiner Tötung zu helfen, ist keine nur-ärztliche Kunst. Nicht-Ärzte können das ebenso gut. Deshalb bieten jetzt die ersten Bestatter diesen Vollservice an: sogenannte Freitodbegleitung mit anschließender Beerdigung. Aber wir Ärzte sollten einen solchen »Service« nicht anbieten!

Gerade als Palliativmediziner sind wir die Garanten dafür, schwerstes Leiden am Lebensende zu lindern, die Lebensqualität deutlich zu verbessern, Lebensmut zu wecken, dem Leben dabei zugleich mehr Tage zu geben. Nicht zuständig sind wir für das Gefühl von Menschen, »unwert« zu sein bei Zuständen wie »zunehmende Schwäche, die Hilflosigkeit, das Angewiesensein auf Pflege und Familie, eine Harn- und Stuhlschwäche«. Mit diesen Worten begründet der Palliativgarten Herne, warum er palliative Versorgung inklusive Förderung einer Selbsttötung anbietet. Dessen Team will Menschen, die davor Angst haben, die das für würdelos erachten, zu sterben helfen – auch, wenn sie nicht sterbenskrank sind.

Ich will das nicht! Als Arzt, der seit bald 40 Jahren auch sterbende Menschen umsorgt, bin ich für die Grundregel, die nach hartem Ringen auch die Ärztekammern in ihre Standesordnungen aufgenommen haben: »Die Beihilfe zur Selbsttötung ist keine ärztliche Aufgabe.«

Meine Patienten und deren Angehörige müssen sich darauf verlassen können, dass ich mich für ihr Leben und ihre Leidlinderung einsetze. Sie dürfen sich darauf verlassen, dass ich nicht mehr behandele, als sie es wünschen, dass ich kein Leben länger erhalte, als es gewünscht wird. Es verlangt mir immer wieder Kraft und Mut ab, »Nein« zu sagen, wenn ich um Lebensverkürzung gebeten werde.

Da die Tötungshilfe in Deutschland legal ist, wäre es möglich, Information und Ausbildung anzubieten, damit auch Nicht-Ärzte sie sauber, preiswert, verfügbar und leidfrei durchführen können.

Oft höre ich den Einwand: Aber in den Niederlanden tun das Ärzte doch auch. Das ist nicht ganz richtig: Die Leitlinien der Königlich Niederländischen Ärzte- und Apothekervereinigung zur dort so genannten Euthanasie raten dringend vom ärztlich assistierten Suizid ab. Ärztliche Tätigkeit ist dort die Tötung von Patienten und nicht die – immer unsichere – Suizidassistenz. Vor der Tötung durch den Arzt warnte schon Christoph Wilhelm Hufeland (1762-1836) eindringlich, denn »dann wird der Arzt der gefährlichste Mensch im Staate«.

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Personalaudioinformationstext:   Matthias Thöns ist Palliativmediziner und Mitträger des Palliativgartens Herne. Er gehörte zu den Klägern, die bewirkten, dass das Bundesverfassungsgericht 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung für nichtig erklärte.

Thomas Sitte ist Palliativmediziner und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Palliativstiftung.
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Die Palliativmedizin lindert Symptome wie Schmerzen, Atemnot oder Übelkeit, sie verbessert die Lebensqualität in der letzten Lebensspanne. Beihilfe zum Suizid gehört nicht dazu. Sollte sich das ändern?
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Karin Backhaus 23.11.2024, 16:30 Uhr:
Palliativmedizin halte ich für sehr hilfreich und wünsche sie jedem, der die braucht. Eine würdige Versorgung in den Pflegeheimen ist sehr wichtig, inklusiv ausreichendem Pflegepersonal!!
Das alles scheint mir wichtiger als eine Suizidbeihilfe. Den Zeitpunkt des Todes möchte ich Gott und nicht den Menschen überlassen.

Klein, Maria 21.11.2024, 10:36 Uhr:
Ärzte sollen Leben retten, es nicht zu beenden helfen!

Elisabeth-Christine Heun 20.11.2024, 10:53 Uhr:
Ich stimme in allen Punkten Thomas Sitte zu. Ich war Hausärztin und hatte dadurch oft Gelegenheit mit Patienten zu reden, die das Thema "Sterbehilfe" Ansprachen. Es lief immer wieder darauf hinaus: Ich bin doch meinen Kindern nur noch eine Last. Es ist ärztliche Aufgabe, da helfend beizustehen. Und es ist unsere Aufgabe, zuhause bei der Pflege beizustehen, dadurch dass wir zur Verfügung stehen und alle Hilfeleistungen, die unser Gesundheitswesen bietet, mit zu organisieren.
Und "würdelos"? Was ist das für eine Haltung? Die Würde eines Menschen hängt nicht von Kontinenz oder Inkontinenz" ab.
"Die Würde des Menschen ist unantastbar" steht im Grundgesetz!
Wenn Menschen denken, dass ihnen ein Weiterleben nicht mehr wünschenswert ist, dann können sie sich an Vereine und Organisationen wenden, die sich dafür zuständig fühlen - dafür sind wir Ärzte NICHT zuständig.
Wir sind dem Leben verpflichtet - und für uns ist kein Leben "würdelos".&

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