Kino-Tipp
Die unendliche Erinnerung
Kino. »Ohne Erinnerung gibt es keine Identität«, sagte der chilenische Journalist Augusto Góngora 1989 bei der Vorstellung seines Buches über die Opfer der Pinochet-Diktatur. Seine Rede über kollektive Vergangenheitsbewältigung, auf Videofilm festgehalten, findet viele Jahre später ironischerweise ein Echo in seinem Privatleben. Denn nun ist er an Alzheimer erkrankt und verliert sukzessive die Orientierung. Hingebungsvoll versucht seine Ehefrau Pauli, ihm wieder beizubringen, wer er ist – und auch, wer sie ist. Der Kulturjournalist, der einst in einer Untergrundsendung dem Volk eine Stimme gab, und die Schauspielerin und spätere Kulturministerin Paulina Urrutia sind bekannte Persönlichkeiten. In diesem Dokumentarfilm, in Chile erfolgreicher als »Barbie«, gewährt das Paar, mit Augustos Einverständnis, einen intimen Einblick in die letzten gemeinsamen Monate. Anfangs dreht eine befreundete Regisseurin, dann, wegen des Corona-Lockdowns, die Ehefrau selbst. Pauli führt ihren Kampf gegen das Vergessen behutsam und kreativ. Sie redet sich den Mund fusselig, zeigt Góngora alte TV-Aufnahmen, spielt auf der Theaterbühne Situationen aus der Diktaturzeit nach. Sie tröstet und streichelt ihn, wenn er sich, ängstlich und verwirrt, im Haus nicht mehr zurechtfindet. Und auch sie weint, wenn er sie nicht mehr erkennt. Wie wirkt sich das Vergessen auf einen Menschen, auf ein ganzes Land aus? Ein Dokumentarfilm über eine große Liebe und die Wichtigkeit der Erinnerung: Man wird ihn nicht vergessen.
? Die unendliche Erinnerung (Chile 2023). Film von Maite Alberdi, 85 Min. Ab 12 J.