Leserbrief
Patriarchale Anmaßung
Zu: »Abtreibungen außerhalb des Strafrechts stellen?« (23/2023, Seite 8-9)
Zuallererst fällt mal wieder auf: Es sind zwei Männer, die hier Stellung nehmen pro oder contra. Ein Schwangerschaftsabbruch ist kein Friseurbesuch, es ist ein körperlicher und seelischer Eingriff im Leben einer Frau. Meist begleitet dieser Eingriff die Frauen ein ganzes Leben lang. Wer glaubt eigentlich, dass diese Entscheidung einfach mal so, zwischen Frühstück und Kaffeetrinken, getroffen wird? Ich empfinde diese ganze Diskussion als anmaßend. Petra Marzinzig, Grasellenbach
Als Frau bin ich vollwertige Bürgerin dieses Landes, kann wählen, arbeiten, Steuern bezahlen und mich einbringen. Das alles wird mir zugetraut und dazu bin ich sogar verpflichtet. Nur, dass ich eine sinnvolle und ausgewogene Entscheidung über meinen eigenen Körper treffen kann, scheint immer noch fragwürdig. Ich finde, das ist eine patriarchale Anmaßung. Nicht zuletzt gibt es zunehmend das Problem, dass es bei immer weniger Ärztinnen und Ärzten, die abtreiben, mit der Beratung und allen Fristen zeitlich knapp wird, den Schwangerschaftsabbruch im gesetzlichen Rahmen durchzuführen – praktische Probleme, mit denen sich Herr Gohl sicher nicht befassen muss. Inken Behrmann, publik-forum.de
Ich schließe mich der Kritik an, dass sich zu dieser wahrlich lebenswichtigen Frage keine weibliche Stimme geäußert hat. Männer sind bekanntlich von dieser Problematik immer nur mittelbar betroffen. Nun liegen beide Stellungnahmen nicht weit auseinander. Mein Landesbischof hat mich allerdings mit seinen Argumenten nicht davon überzeugen können, dass der Schwangerschaftsabbruch etwas im Strafrecht verloren hat. Heute wäre es notwendiger denn je, die sozialen und gesellschaftlichen Begleitumstände so zu verändern, dass sich die Zahl der Frauen, die vor einer so schwerwiegenden Entscheidung stehen, auf ein Minimum reduziert. Hier vor allem sind die Kirchen gefordert.
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Waldemar Hirsch, publik-forum.de
Wer sich dagegenstellt, dass eine Frau allein über das Austragen einer Schwangerschaft entscheiden soll, ist blind, frauenfeindlich oder ungebildet oder alles zusammen. Es beginnt schon bei der Terminologie. Das »ungeborene Leben« ist eine Erfindung der (katholischen) Kirche im letzten Jahrhundert, welche bekanntermaßen von Frauen wenig hält. Eine Leibesfrucht heißt entweder Embryo, ab dem dritten/vierten Monat Fötus und erst nach der Geburt Kind. Bezeichnet eine Schwangere ihre Leibesfrucht als »Kind«, wird sie niemals abtreiben, weil die Bezeichnung auf eine enge emotionale Beziehung sogar zu einem Zellhaufen deutet. Dieser Zustand ist häufig; es gibt nämlich auch Frauen, die sich auf/über eine Schwangerschaft freuen. Möchte eine Frau ihre Leibesfrucht nicht und unterlässt eine Abtreibung, ist das geborene Kind nicht zu beneiden. Wer sich sehenden Auges umsieht, kann feststellen, dass es viele ungeliebte, ungewollte – das ist nicht grundsätzlich dasselbe – Kinder gibt, die vernachlässigt, misshandelt, getötet werden. Ich kenne mich im Bereich Kinderpornografie gut aus (wie bekanntermaßen ja auch Teile der Kirchen). Es ist gerade in dem ungehemmten Kapitalismus, den wir erleben, beckmesserisch, zu erwarten, dass sich die Umwelt zugunsten von Kindern ändert. Elke Kügler, Berlin