Ort des fairen Streits
Braucht ein Journalist, eine Journalistin eine Haltung, um verantwortungsvoll berichten zu können? Petra Bahr mag das Wort nicht. Das habe sich »so eingeplätschert, dass alle jederzeit eine Haltung haben müssen«, sagt die evangelische Regionalbischöfin von Hannover und Publizistin – und das führe dazu, »dass man Bekenntnisse ausspricht, statt mit Abstand zu analysieren« und sauber zu recherchieren.
Heribert Prantl, Kolumnist der Süddeutschen Zeitung, widerspricht: Selbstverständlich brauche guter Journalismus einen »Halt in den Grundwerten«, den Grund- und Menschenrechten, im »Respekt für Minderheiten, soziale Verantwortung, Gleichheit vor dem Gesetz«. Wolfgang Thierse, der ehemalige Bundestagspräsident und Mitherausgeber von Publik-Forum, ist da, wie er sagt, ambivalent: Als »demokratische Grundhaltung, aus der Unabhängigkeit wächst gegenüber Moden und Trends«, sei eine klare Haltung gut. Als »Parteilichkeit, Urteilsgewissheit, Vorgefasstheit«, wie er es in der DDR erlebt habe, sei sie eine furchtbare Untugend.
Publik-Forum EDITION
»Das Ende des billigen Wohlstands«
Wege zu einer Wirtschaft, die nicht zerstört.»Hinter diesem Buch steckt mein Traum von einer Wirtschaft, die ohne Zerstörung auskommt. / mehr
Und schon ist die Debatte im Gange zwischen der schreibenden Kirchenfrau, dem katholischen Sozialdemokraten und dem durchaus frommen Journalisten – vor 500 online versammelten Menschen. Moderiert wird die Diskussion zum 50. Geburtstag von Publik-Forum von Chefreporter Matthias Drobinski. 1972 gaben viele dem Blatt keine fünf Jahre, dessen erste Ausgaben Harald Pawlowski im Keller seines Wohnhauses zusammenstellte, weil Publik nicht sterben sollte, das ungeliebte, weil zu liberale publizistische Kind der katholischen Bischöfe. Heute hat das Blatt mehr als 35 000 Abonnentinnen und Abonnenten – ein Erfolg, auf den Redaktion, Verlag und die Publik-Forum tragende Leserinitiative stolz sein können, so Chefredakteur Alexander Schwabe.
Was heißt es heute, kritisch, christlich und unabhängig Journalismus zu betreiben, inmitten der Digitalisierung, der kollektiven Unsicherheit und Gereiztheit der Corona-Pandemie, der besorgniserregenden Erderwärmung? Eineinhalb Stunden geht es hin und her: Gerade eine Zeitschrift wie Publik-Forum solle ihre christliche Orientierung als Motor der Wahrheitssuche sehen, als kritische Perspektive auf die eigenen Gewissheiten, als Quelle der Hoffnung gegen die Weltuntergangsängste, gegen die tausendfache Unfehlbarkeitserklärung im Netz. Gerade dann, wenn sich die katholische Kirche in die Existenzkrise manövriert hat. So lassen sich die Ratschläge der drei Diskutierenden zusammenfassen. Ihre Wünsche: Dass Publik-Forum ein Ort des tieferen Nachdenkens bleibt, wenn vielen Medien der Atem knapp wird, wünscht Heribert Prantl. Dass es verschiedene Meinungen gibt, sagt Wolfgang Thierse. Dass es ist, was der Name verspricht, sagt Petra Bahr: ein Forum des Austauschs, des fairen Streits und der Vielfalt.