Kino
Die Nacht der Entscheidung
Kino. Die Welt jenseits ihrer religiösen Kolonie ist ihnen unbekannt. Die Frauen dieser isolierten Gemeinde sind Analphabetinnen und kaum fähig, Worte zu finden für intime Dinge. Doch nun müssen sie reden: darüber, was ihnen widerfahren ist und wie sie sich und ihre Kinder schützen können. So treffen sich acht Frauen unterschiedlichen Alters auf einem Heuboden und beratschlagen, ob sie bleiben oder fortgehen sollen. Ein junger Lehrer, dessen Mutter einst verstoßen wurde, führt Protokoll. Schockartige Rückblenden erhellen den ungeheuerlichen Grund für diese Versammlung: über Monate haben männliche Mitglieder der Kolonie Frauen mit Narkosemitteln für Tiere betäubt und vergewaltigt. Wenn die Frauen auf blutigen Laken aufwachten, wurde dies Dämonen zugeschrieben oder als »weibliche Einbildung« abgetan. Nun sind die Männer zwei Tage weg, um die Täter gegen Kaution aus dem Gefängnis zu holen. Der Vorsteher hat den Opfern ein Ultimatum gestellt: sollten sie ihren Peinigern nicht vergeben, müssten sie die Kolonie verlassen.
Die Romanverfilmung, zweifach oscarnominiert, ist inspiriert von einem wahren Fall in einer Mennonitengemeinde in Bolivien. Trotz der Einbettung in eine Naturidylle ist sie vorrangig ein Kammerspiel. In heftigen Debatten erfährt »MeToo« seine archaische Erdung. So müssen die Frauen, nicht fähig, auch nur eine Landkarte zu lesen, sich fragen, ob sie außerhalb patriarchalischer Unterwerfung überleben können. Die Direktheit, mit der existenzielle und religiöse Fragen behandelt werden, ist herausfordernd. Trotz der gelegentlich schematischen Inszenierung ist das Drama gerade durch die Vielschichtigkeit der Argumente ungeheuer anregend.