Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser,
nach dem Gespräch mit Kerstin Claus und Thomas Großbölting in Berlin über die große Missbrauchsstudie der evangelischen Kirchen (Seite 12), hallte das Wort »Pastoralmacht« bei mir nach. Als ich vor 25 Jahren als Vikar in eine evangelische Gemeinde kam, war ich überrascht, was die Menschen mir zugetraut und anvertraut haben. Die kannten mich doch noch gar nicht. Aber mein Amt und meine Funktion haben mir einen enormen Vertrauensvorschuss gewährt. Da habe ich, obwohl ich grade erst von der Uni kam, wohl etwas von dieser Pastoralmacht gespürt.
Darauf kommt es wohl in Zukunft an: dass diese Macht nicht ausgenutzt wird, dass sie eingegrenzt und kontrolliert wird. Und dass – im Sinne des Priestertums aller Gläubigen – die Menschen ermutigt werden, auch sich selbst und denen zu vertrauen, die sich in ihrem Umfeld als vertrauenswürdig erwiesen haben, ohne Amt und schwarzen Kittel. Und dass jede und jeder sich als vertrauenswürdig erweisen, denen andere sich anvertrauen.
Dass Sie, liebe Leserinnen und liebe Leser, sich immer wieder haben inspirieren und provozieren lassen vom Theologen Joachim Negel, der in diesem Heft zum letzten Mal Ihre Glaubensfrage (Seite 39) beantwortet, das zeigen Ihre Rückmeldungen. Viel Lob gab es für seine Vergegenwärtigungen der alten Traditionen – und viel Widerspruch. Am meisten hat mich als einer der Leserbriefredakteure gefreut, wenn Negels Erklärungen zum Anstoß wurden, die eigene Position zum verhandelten Thema auf den Punkt zu bringen. Herzlichen Dank an Joachim Negel! Ab Heft 5 geht es weiter mit einer Kolumne zu schwierigen Bibelstellen mit den Bibelwissenschaftlern Dorothea Erbele-Küster und Martin Ebner.
Publik-Forum EDITION
»Das Ende des billigen Wohlstands«
Wege zu einer Wirtschaft, die nicht zerstört.»Hinter diesem Buch steckt mein Traum von einer Wirtschaft, die ohne Zerstörung auskommt. / mehr
Sehr nachdenklich hat mich der Essay meines Kollegen Michael Schrom (Seite 34) gemacht über die verstörende Vision des Christentums, die Maximilian Krah, Spitzenkandidat der AfD bei der Europawahl, entwirft: Das Christentum als Verstärker völkischer Identität. So absurd das angesichts der alle Menschen umfassenden Botschaft auch klingt: Es gab und gibt Christentümer, die den nationalen Ideologien dienstbar sind.
Eine anregende Lektüre wünscht Ihnen
Christoph Fleischmannist Redakteur im Ressort Religion & Kirchen.
Foto: Ute Victor