Soll man Katar die WM wegnehmen?
Renke Brahms: »Ja, wegnehmen! Denn in Katar herrscht moderne Sklaverei«
»Die Diskussion über die WM 2022 läuft in die falsche Richtung: Statt darüber zu sprechen, die Spiele in den Winter zu verlegen, sollten wir sie in ein anderes Land verlegen. In Katar werden Menschenrechte mit Füßen getreten: Das Recht auf freie Meinungsäußerung wird eingeschränkt, Frauen werden diskriminiert, und viele Wanderarbeiter sind beim Bau der Stadien schon ums Leben gekommen. Die Arbeiter müssen in winzigen Unterkünften hausen, ihnen werden die Pässe entzogen, und für ihre Arbeit erhalten sie einen Hungerlohn. Das ist für mich nichts anderes als eine Form der modernen Sklaverei. Das dürfen wir nicht zulassen! Durch den Druck der Öffentlichkeit mögen sich die Arbeitsbedingungen zwar verbessert haben, aber sie sind immer noch miserabel, wie Berichte von Menschenrechtsorganisationen belegen. Die WM hätte nie nach Katar vergeben werden dürfen, aber da das geschehen ist, müssen wir jetzt handeln. Ich erwarte und fordere eine neuerliche Diskussion um die Spielplanverlegung. Dazu müssten sich starke Ligen in Europa zusammentun. Länder wie Spanien, England und Deutschland sollten die Verlegung in ein anderes Land vorantreiben – den Menschenrechten und dem Sport zuliebe. Denn bei einer Fußball-Weltmeisterschaft darf es nicht nur ums Geld gehen. Und bei der Debatte über Katar nicht nur um Fußball: Katar gehörte 2013 zu den Hauptempfängerländern deutscher Rüstungsgüter. Auch das sollten wir nicht vergessen. Zugegeben: Sehr wahrscheinlich ist eine Verlegung der Spiele nicht. Wenn es doch bei Katar bleibt, müssen wir eines unbedingt tun: die WM durch eine Kampagne zur Menschenrechtsfrage und den Waffenlieferungen intensiv begleiten, damit Bewusstsein geschaffen wird – zumindest für die Zukunft.«
Paul-Anton Krüger: »Nein, nicht wegnehmen! Denn durch die WM steht Katar unter Reformdruck«
»Katar hat ein Problem mit den Menschenrechten. Doch es ist ein Irrtum zu glauben, den Gastarbeitern sei geholfen und den Menschenrechten sei ein Dienst erwiesen, wenn man dem Land das Turnier wegnimmt. Denn eine solche Entscheidung würde den Reformdruck, unter dem das Land jetzt im Lichte der Weltöffentlichkeit steht, nehmen. In der Folge würden Hunderttausende Gastarbeiter die Arbeit und somit ihre Existenzgrundlage verlieren. Fest steht: Reformen müssen umgesetzt werden, und unsere Politiker und Sportfunktionäre müssen das genauso einfordern wie jeder Besucher. Aber Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat recht: Auch die Reformen Katars müssen anerkannt werden. Denn es gibt in dem kleinen, reichen Land durchaus Menschen, die einsehen, dass gerechte Bezahlung, geregelte Arbeitszeiten, Sicherheitsstandards und vernünftige Unterbringung notwendig sind. Der Emir sollte alles tun, um diese Einsicht unter seinen Landsleuten zu verbreiten. Die Welt wird ihn und sein Emirat daran messen, ob ihm das gelingt. Gerade weil die Weltmeisterschaft in Katar stattfindet, haben Verfechter der Menschenrechte eine Chance, überhaupt Einfluss auszuüben. Reformen und eine verbesserte Menschenrechtslage können so eher durchgesetzt werden, als wenn die WM in ein anderes Land verlegt oder boykottiert wird. Millionen Gastarbeiter in den umliegenden Golfstaaten würden davon profitieren, wenn auf ihre Länder derselbe Druck ausgeübt würde wie auf Katar. Denn in den Öl-Monarchien rund um Katar, mit denen Deutschland in vielfacher Hinsicht wirtschaftlich kooperiert, herrschen teilweise noch katastrophalere Zustände.«
Publik-Forum EDITION
»Das Ende des billigen Wohlstands«
Wege zu einer Wirtschaft, die nicht zerstört.»Hinter diesem Buch steckt mein Traum von einer Wirtschaft, die ohne Zerstörung auskommt. / mehr
Paul-Anton Krüger (@pkr77) , geboren 1977, ist Redakteur der Süddeutschen Zeitung. Zurzeit arbeitet er von Kairo aus als Auslandskorrespondent für die arabische Welt und den Iran.