»Warum ich Orban einen Diktator genannt habe«
Am 3. April sind Parlamentswahlen in Ungarn. Katarina Barley (SPD), Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, war Anfang März in Budapest. Ihre Beurteilung der politischen Lage unter Premierminister Viktor Orban hat sie auf Twitter veröffentlicht. Ihre Tweets im Wortlaut:
Bin gerade in Budapest. Regierungstreues TV sendet weiterhin russische Propaganda der aggressiven Ukraine. Fidesz-Abgeordnete haben im EU-Parlament für Resolution gestimmt, die Russland verurteilt, behaupten aber öffentlich das Gegenteil. Orban spielt ein doppeltes Spiel.
In einem Monat sind Wahlen. Die komplette Opposition, sechs Parteien, tritt mit nur einem Kandidaten an. Nur so haben sie überhaupt eine Chance, Orban zu besiegen. Über 700 Wahlrechtsänderungen hat er vorgenommen. Die Medien sind fest in seiner Hand.
Schon bei den letzten Wahlen hat sich Fidesz so mit unter fünfzig Prozent der Stimmen eine Zweidrittelmehrheit verschafft. Seitdem hat Orban das Recht so umgebaut, dass er selbst im Fall einer Wahlniederlage die staatliche Macht in Ungarn in seinen Händen behält. Wie das?
In 320 (!) Fällen ist eingeführt worden, dass Änderungen nur mit Zweidrittelmehrheit erfolgen können – von allen wichtigen Personalentscheidungen über Staatsorganisation bis zu Steuersätzen. Eine Zweidrittelmehrheit kann die Opposition aber praktisch nicht erreichen (siehe oben).
Es kommt noch schlimmer: Orban könnte eine neue Regierung in kurzer Zeit zu Fall bringen. Er hat eingeführt, dass der Haushalt von einem dreiköpfigen (!) Gremium genehmigt werden muss. Legt es zwei Mal Veto ein, kann das Parlament aufgelöst werden. Neuwahlen wären die Folge.
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Nun ratet mal, wie man diese drei Personen ersetzen kann: richtig, mit Zweidrittelmehrheit – die die Opposition praktisch nicht erreichen kann (siehe oben). Das demokratische Prinzip »Macht auf Zeit« ist ausgehebelt. Diese Wahl wird die letzte sein, in der Orban noch besiegt werden kann.
Sollte die Opposition eine (einfache) Mehrheit erhalten, steht sie vor dem Problem, die oben genannten Regelungen ändern zu müssen, um überhaupt regieren zu können. Das muss sie auch mit einfacher Mehrheit tun können, sonst ist ein tatsächlicher Wechsel durch Willen des Volkes unmöglich.
In diesem »Verfassungsdilemma« wird die Opposition Unterstützung brauchen, auch rechtliche, auch aus der EU. Ich hoffe, jetzt wird verständlicher, warum ich Orban einen Diktator genannt habe. Auch wenn sich das im Alltag nicht so anfühlt.
Und: In Ungarn versickern vier Prozent der europäischen Fördergelder in dunklen Kanälen. Kein anderes Land der EU bringt es auf mehr als ein Prozent, Durchschnitt ist 0,36 Prozent. Orbans bester Freund, ein Klempner, ist Milliardär, wie sein Schwiegersohn, Vater ... That’s all you need to know ...
Zum Abschluss: Deutsche Unternehmen lassen sich von Orban hofieren. Sie profitieren von niedrigen Steuern, wenig Arbeitsschutz und direktem Draht zu Ministern. Sie stützen damit das System Orban und tragen zu dieser Entwicklung bei. Klare Worte VOR der Wahl wären angebracht.