Leserbrief
Verhandeln statt töten
Zu: »Des Papstes weiße Fahne« (6/2024, Seite 10)
Wenn Matthias Drobinski dem Papst unreflektierte Äußerungen unterstellt, erweckt er den Eindruck, Franziskus wisse nicht wirklich, was er sagt. Er weiß es sehr wohl! Papst Franziskus hat in dem Interview mit dem Schweizer Rundfunksender RSI die Linie bekräftigt, für die der Vatikan seit vielen Monaten konsequent wirbt: Dass der gegenwärtige Weg der westlichen Staaten, auf Waffenlieferungen und Eskalation zu setzen, verantwortungslos ist und beendet werden muss, weil nur der Weg zu Diplomatie und Verhandlungen die brandgefährliche Eskalationsspirale bis hin zu einem dritten Weltkrieg verhindern kann. Papst Franziskus ist damit eine der wenigen Stimmen der Vernunft in einer aufgeheizten Debatte. Jonas Christopher Höpken, Oldenburg
Das ist schon zum Verzweifeln: Da spricht Papst Franziskus von der Notwendigkeit, im Ukrainekonflikt nach Wegen des Friedens zu suchen und wird wegen der vom Interviewer angebotenen »weißen Fahne« als Vermittler disqualifiziert. Nicht nur das. In der über den Beitrag gesetzten Karikatur wird dem Papst in den Mund gelegt, dass er auch dem Teufel die weiße Fahne zeigen würde. An Putin muss man vieles ablehnen, dass er aber in unseren Medien zum Monster und Teufel stilisiert wird, macht klar, dass man keine Verständigung will, denn mit dem Teufel spricht man nicht. Beate Uber-Lange, Velbert
Der Papst schlug vor, denjenigen, der im Krieg die weiße Fahne zeigt, als den Stärkeren anzusehen. Für ihn ist die Weiße Fahne ein Zeichen, in Verhandlungen mit der anderen Partei treten zu wollen. Sie ist demnach keine Aufforderung zur Kapitulation, sondern für ein Ende des Tötens zugunsten einer diplomatischen Initiative des Kompromisses auf dem Weg zu einer friedlichen Lösung. Die Alternative eines Sieges einer der Seiten über die andere trägt den Keim eines erneuten und vermutlich noch schlimmeren Krieges in sich. Die Idee des Papstes folgt der Haager Landkriegsordnung, in der dies steht: »Als Parlamentär gilt, wer von einem der Kriegführenden bevollmächtigt ist, mit dem anderen in Unterhandlungen zu treten und sich mit der weißen Fahne zeigt. Er hat Anspruch auf Unverletzlichkeit, ebenso der ihn begleitende Trompeter, Hornist oder Trommler, Fahnenträger und Dolmetscher.« Ich meine: Die Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland in der Türkei im Frühjahr 2022 hätten niemals unter- und abgebrochen werden dürfen. Diese Vorentscheidung über eine Fortführung des Tötens hat zehntausendfachen Tod und millionenfache Flucht bedeutet. Bernhard Trautvetter, Essen
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»Wann der Krieg beginnt, kann man wissen, aber wann beginnt der Vorkrieg?« So geradezu weise Christa Wolf in ihrem Roman »Kassandra« bereits 1983. »Lasst euch nicht von den Eignen täuschen«, schrieb sie an anderer Stelle. Die Nato, unter Federführung der USA, ist nicht unschuldig an diesem Krieg. Mit Antiamerikanismus hat diese Tatsache nichts zu tun. Im Gegensatz zu den verschiedenen und verfeindeten orthodoxen Kirchen in der Region, bewegt sich Franziskus in der Spur des Feindesliebe und Gewaltverzicht predigenden Menschensohns und auch von Persönlichkeiten wie Mahatma Gandhi und Martin Luther King. Zumindest auf Erden hat jeder Mensch nur ein Leben. Um das unsinnige Abschlachten zu beenden, ist es erforderlich, die gegenseitigen geostrategischen Interessen auszutarieren. Dieses wird ohne schmerzhafte Kompromisse – auch für die Ukraine und damit für den Westen – nicht möglich sein. Jedenfalls halten wir als Protestanten es mit Erasmus von Rotterdam, der bereits 1517 zeitlos anmahnte: »kaum jemals kann ein Friede so ungerecht sein, dass er nicht besser wäre als der gerechteste Krieg«. Christine und Rudolf Grzegorek, Görlitz
Es ist für mich beklemmend festzustellen, dass selbst christliche Medien die Kernbotschaft jenes Jesus von Nazareth ignorieren. Ganz offensichtlich verdrängen all jene, die Papst Franziskus wegen seiner Aussage kritisieren, dass Kriege fürchterliches Leid verursachen, bei Soldaten, bei der Zivilbevölkerung nicht nur körperlich, sondern auch seelisch, und zwar auf beiden Seiten der Front. Wollen wir wirklich um den Preis eines »gerechten« Friedens weiterhin die Unmenschlichkeit des Krieges tolerieren? Jesus wollte lieber Verlierer sein, als um den Preis der Gewalt zu siegen, und starb am Kreuz. Burgi Tötsch, A-Weer
Matthias Drobinski macht es sich zu einfach. Der Papst spricht deutlich an, worum man sich hierzulande allzu gerne drückt: Die bittere Wahrheit, dass der Krieg in der Ukraine militärisch nicht zu gewinnen ist. Wofür starben aber dann die Tausenden von Opfern? Wer lösungsorientiert denkt (und sich nicht über die päpstliche »weiße Fahne« erregt), muss den alarmierenden Tatsachen ins Auge blicken und mit Franziskus zumindest für einen alsbaldigen Waffenstillstand plädieren. Seltsam, dass davon ausgerechnet im christlichen Publik-Forum nicht die Rede ist. Stattdessen werden die üblichen ritualisierten Anklagen gegenüber Putin und Kyrill gefordert, die erwiesenermaßen nichts nützen. Realitätsgerechte Perspektiven à la Franziskus helfen vielleicht weiter – während die sture kriegsorientierte Durchhalteparole des Westens ins nächste Debakel führt, militärisch, politisch und vor allem humanitär. Ludger Gaillard, Göttingen