Naturschutz neu denken
Unter dem Yasuní-Nationalpark in Ecuador liegt ein Schatz: 850 Millionen Barrel Erdöl lagern in der Erde tief unter dem Regenwald. Öl, nach dem die ganze Welt giert. Öl, für das Konzerne längst Schlange stehen. Und: Öl, das Ecuador als einem der ärmsten Länder Südamerikas Einnahmen in Milliardenhöhe verheißt.
Doch anstatt den Schatz zu heben, machte die ecuadorianische Regierung der Welt im Juni 2007 einen einzigartigen Vorschlag: Das Land ist bereit, das schwarze Gold für immer in der Erde zu lassen und auf die Hälfte der entgangenen Erdöleinnahmen zu verzichten. Vorausgesetzt: Die Weltgemeinschaft zahlt über Jahre hinweg die andere Hälfte – insgesamt rund 3,5 Milliarden Dollar – für Ecuador in einen von der UNO verwalteten Treuhandfonds ein. Das Geld fließt dann etwa in die Aufforstung zerstörter Wälder und den Ausbau erneuerbarer Energien.
Der grüne Schatz Ecuadors
Während die Vision des kleinen Landes bei vielen Begeisterung entfachte, waren andere brüskiert. Heute steht das inzwischen detailliert ausgearbeitete Projekt mangels Geldgebern kurz vor dem Aus. Doch auch wenn dieser Vorschlag radikales Umdenken erfordert: Er ist ein Weg, um Naturreichtümer in armen Ländern dem Zugriff der Rohstoffindustrie zu entziehen.
Der wahre Schatz Ecuadors liegt nämlich nicht unter der Erde, sondern darüber: Der Yasuní-Nationalpark mit einer Fläche viermal so groß wie das Saarland gilt als einer der artenreichsten Regenwälder der Welt. Auf einem Hektar gibt es dort mehr Baumarten als in ganz Nordamerika. Zwei Indianerstämme leben heute noch – fernab der Zivilisation – in dem üppigen Grün. Bleibt das Biosphärenreservat erhalten, bleibt der Welt der Ausstoß von Millionen Tonnen Kohlendioxid erspart. Das Öl aus dem Boden könnte den Energiehunger der Menschheit hingegen gerade mal zehn Tage lang stillen.
Öl oder Regenwald?
Und dennoch bleibt die Frage: Warum sollte die Welt Ecuador dafür bezahlen, etwas zu unterlassen? Zugegeben: Die Logik scheint zunächst verkehrt. Statt wie Naturschutz aus edlen Motiven mag es sich für manche anfühlen wie Erpressung. Alles in uns sträubt sich, Dschungel und Öl gegeneinander abzuwägen; die Natur mit einem Preisschild zu versehen. Ist die Schönheit eines Waldes nicht Grund genug, um ihn zu bewahren?
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Und so wäre es uns lieber, würden erdölabhängige Entwicklungsländer wie Ecuador freiwillig und ganz ohne Gegenleistung milliardenhohe Exporteinnahmen dem Umweltschutz opfern. Doch in einer Welt, in der Geld regiert und der Konkurrenzkampf die Regeln diktiert, sind derartige Wünsche reichlich naiv – noch dazu wenn sie aus dem Munde wohlhabender Industriebürger kommen.
Angst vor Nachahmern
Deutschlands Entwicklungsminister Niebel hingegen hat andere Bedenken. Dem kleinen Andenstaat hat er längst eine Absage erteilt. Der Grund: Es könnte Nachahmer geben. Dabei liegt genau darin eine Chance: Nur wenn alle Länder gemeinsam Verantwortung übernehmen, können die letzten Schätze dieser Erde bestehen. Dazu zählt auch, armen Ländern, die statt fossile Brennstoffe zu fördern die Umwelt schützen, die Hand zu reichen.
Um Missbrauch zu vermeiden, bräuchte solch ein globales Konzept wie im Fall der Yasuní-Initiative strenge Bedingungen, Garantien und Kontrollen. Die Welt hat im vorigen Jahr 1630 Milliarden Dollar in Waffen investiert. Weniger als 0,3 Prozent davon würden reichen, um den Yasuní-Nationalpark für immer zu retten. Doch um das zu erkennen, muss sich unser Denken verändern: Natur ist keine Ware – ihr Wert unbezahlbar.
Für den Yasuní-Nationalpark und seine Bewohner tickt derweil die Uhr: Ecuadors Präsident Correa hat der Welt eine Frist bis Ende des Jahres gesetzt. Wenn bis dahin nicht die ersten hundert Millionen Dollar zusammengekommen sind, werden im Nationalpark schon bald die Bagger anrollen. Erdöl oder Regenwald? Dann ist die Frage entschieden.