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Dieser Artikel stammt aus
Publik-Forum, Heft 14/2022
Der Inhalt:

Literatur
Predigerin ihrer Nation

Warum Amanda Gormans erster Gedichtband auf Platz 1 der Beststellerliste der New York Times landete – und es sich lohnt, ihn in der englisch-deutschen Ausgabe zu lesen.
von Anne Strotmann vom 22.07.2022
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Die US-amerikanische Lyrikerin Amanda Gorman: eine Erlösergestalt (Foto: pa/Zuma/Climate Reality Project)
Die US-amerikanische Lyrikerin Amanda Gorman: eine Erlösergestalt (Foto: pa/Zuma/Climate Reality Project)

Lyrik. Als Amanda Gorman zur Inauguration von Joe Biden ihr Gedicht »The Hill We Climb« vortrug, schrieb sie sich in die Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika ein: Die junge Schwarze Frau bewegte mit ihrer Botschaft der Hoffnung nicht nur ihre Landsleute, sondern Menschen in der ganzen Welt. Mit genau dem Pathos, den die Leute nach vier Jahren Trump, mitten in einer Pandemie, kurz nachdem Rechtsradikale das Kapitol gestürmt hatten, gebraucht hatten.

Dieser Artikel stammt aus Publik-Forum 14/2022 vom 22.07.2022, Seite 55
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Nun liegt ihr erster Gedichtband »Was wir mit uns tragen« in deutscher Übersetzung vor. Glücklicherweise ist der Band zweisprachig, denn die spoken-word-inspirierte Lyrik, die von Rhythmus und klanglicher Dichte lebt, von Alliterationen und Assonanzen, von Wortspielereien, funktioniert – ohne den deutschen Übersetzerinnen Unrecht tun zu wollen – eigentlich nur im englischen Original. So lässt es sich gut durch die 400 Seiten schmökern: links der Sound, rechts das Verständnis.

Gorman bewährt sich mit »Call us what we carry« als Predigerin ihrer Nation: Die Erfahrung der Corona-Pandemie hat Spuren hinterlassen und die sprechen auch aus ihrer Lyrik. Sie schreibt über Demokratie, Rassismus, Black Lives Matter – etwa, wenn sie einen traditionellen Poesiealbumreim umdichtet: »Riots are red / Violence is blue / We’re sick of dying / How ’bout you.« Marion Kraft und Daniela Seel übersetzen: »Revolten sind rot / Polizeigewalt blau / Wir haben vom Sterben genug / Ihr nicht auch.«

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Ein anderer Text verknüpft nachdrücklich die Pandemieerfahrung mit Migrationserfahrungen und Rassismus: Alle Menschen sehnen sich nach Sicherheit, Freiheit, Zugehörigkeit. Die einen merken erst jetzt, was Einschränkungen bedeuten, mit denen andere schon immer leben müssen.

Aus den Versen spricht immer auch die Aktivistin: Amanda Gorman hält ihrem Land den Spiegel vor, appelliert an das Gewissen, beschwört Solidarität. In Deutschland würde das vermutlich nicht funktionieren, doch in den USA schaffte es der erste Lyrikband der 24-Jährigen auf Platz eins der Bestsellerliste der New York Times. Als Ende Mai ein Amokläufer 19 Kinder in einer Schule in Texas tötete, veröffentlichte Gorman in der New York Times eine »Hymn for the Hurting«, Hymne für die Verletzten und die Leidenden. Für die USA ist Gorman eine Erlösergestalt, die Traumata ansieht und verkündet, dass es gut werden könnte zwischen uns.

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