»Rufmord an den Juden«
Was soll geschehen mit der »Judensau« an der Wittenberger Stadtkirche, jener judenfeindlichen Schmähplastik in vier Metern Höhe an der Außenwand des Gotteshauses, in dem einst Martin Luther predigte? Das Bildnis, das unter anderem den für Juden unaussprechlichen Namen Gottes verspottet und Menschen in jüdischer Tracht zeigt, die an Zitzen einer Sau saugen, soll abgenommen werden, forderte ein jüdischer Kläger. Im Juni entschied der Bundesgerichtshof, das mittelalterliche Sandsteinrelief dürfe bleiben: Eine mahnende Bodenplatte und eine Informationstafel beseitigten den beleidigenden Charakter der Darstellung.
Nun aber empfiehlt ein vom Gemeindekirchenrat einberufenes Expertengremium, das Relief abzunehmen und in einem eigenen Raum in der Nähe der Kirche zu präsentieren. Und Jörg Bieling, der Vorsitzende des Gemeindekirchenrats, sagt dem Evangelischen Pressedienst: »Die Abnahme ist für uns kein Tabu.« Bislang war der Gemeindekirchenrat für den Verbleib der Schmähplastik, als »Dokument der Zeitgeschichte« und Mahnmal, wie es in einer Stellungnahme heißt, gemeinsam mit dem 1988 gesetzten Denkmal, einer Zeder aus Israel und einer Erklärtafel.
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Das Expertengremium, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern der evangelischen Kirche, des Judentums und des Landes Sachsen-Anhalt, kommt nun nach fast zwei Jahren Beratungen zu einem anderen Ergebnis. Es soll »das Schandbild nicht mehr an seinem bisherigen Ort zu sehen sein«, schreibt Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter der evangelischen Kirche und Mitglied des Gremiums, in der Online-Präsenz des Magazins Chrismon, »denn es ist eine Schmähung jüdischer Menschen und zugleich ein Sakrileg, nämlich eine Beleidigung des Gottesnamens«. Das Relief solle aber auch nicht einfach in einem Museum verschwinden, sondern »in unmittelbarer Nähe auf andere Weise zu sehen sein. Denn die Auseinandersetzung darf nicht aufhören.« Auch Andreas Nachama, der als Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz im Expertengremium vertreten ist, hatte sich öffentlich für die Abnahme der Schmähplastik ausgesprochen.
Ende August will nun der Wittenberger Gemeindekirchenrat über die Empfehlung der Experten beraten. Eine schnelle Entscheidung werde es wohl nicht geben, sagt Jörg Bieling; die Stadtkirche gehöre immerhin zum Unesco-Weltkulturerbe. Allerdings hat das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie bereits erklärt, man habe sich zwar für den Verbleib des Reliefs ausgesprochen, werde sich aber auch nicht einer Überführung an einen Lernort verschließen. Unterdessen hat Michael Düllmann, der als Kläger die Debatte angestoßen hat, den Gang zum Bundesverfassungsgericht angekündigt. Das Relief sei ein »Rufmord an den Juden«.