Aus der Redaktion
Über ein Paradies, in dem auch gerülpst werden darf
Liebe Leserin, lieber Leser,
meine Kolleginnen und Kollegen waren alle schon dran, nächste Woche ist es auch für mich soweit: Ich fahre in den Sommerurlaub. Vor allem freue ich mich darauf, Zeit mit meiner Nichte zu verbringen. Fast vier ist sie schon. Eben beim Mittagessen habe ich sie gefragt, worauf sie sich am meisten freut. Das Meer? Gemeinsames Pizzabacken? Keineswegs. Sie will rülpsen. Tja, auch Kinder brauchen halt mal Urlaub von der täglichen Sozialkontrolle. Da sind sie uns Erwachsenen gar nicht unähnlich.
Dass der Mensch sich vom Reisen ersehnt, frei von den Disziplinierungen des Alltags zu werden, darauf wies schon Hans-Magnus Enzensberger hin. Doch natürlich reicht unsere Sehnsucht noch tiefer, wie der Theologe Rainer Bucher in der Titelgeschichte schreibt. Das Paradiesgärtlein lockt. Doch wie viel dürfen wir jenseits von Eden erhoffen?
Auch auf unserem Titelbild sieht es aus wie im Paradiesgärtlein. (Laut Bibel gab es dort allerdings keine Kinder, was man je nach Lebenssituation für einen Konstruktionsfehler oder große Weitsicht des Schöpfers halten kann.) Rainer Buchers Essay haben wir Fotos aus einer Serie von Saskia Uppenkamp beigestellt. Sie traf in Portugal und auf Teneriffa Menschen, die nicht nur für zwei oder drei Wochen reisen, sondern auf unbestimmte Zeit nach ihrem Paradies suchen. Sie entfliehen Nine-to-Five-Jobs oder gescheiterten Beziehungen und wollen spüren, dass das Leben ein Wunder ist. Meike, die auf unserem Titelbild mit ihrer Tochter zu sehen ist, konnte den Gedanken nicht ertragen, dass die in einer engen Stadtwohnung laufen lernt. Sie sollte Gras, Steine, Waldböden unter ihren kleinen Füßen spüren.
Publik-Forum EDITION
»Das Ende des billigen Wohlstands«
Wege zu einer Wirtschaft, die nicht zerstört.»Hinter diesem Buch steckt mein Traum von einer Wirtschaft, die ohne Zerstörung auskommt. / mehr
Auch meinen etwas größeren Füßen wird das gut tun. Vielleicht sammelt nicht nur meine Nichte paradiesische Erinnerungen, sondern auch wir Großen, wenngleich das mit dem Alter offenbar schwerer zu werden scheint.
Sie können sich mit dem Lesen dieser Ausgabe mehr Zeit lassen als üblich. Nehmen Sie sie mit an den Strand, ins Café, in den Park, oder lesen Sie sie gemütlich auf dem heimischen Sofa – wo immer in Ihrem Leben Sie gerade Anwesenheitspflicht haben. Unsere nächste Ausgabe erscheint in drei Wochen wieder, am 30. August 2024.
Anne Strotmannist Redakteurin bei Publik-Forum. Sie leitet das Ressort »Leben & Kultur«.
Foto: Ute Victor