Podcast-Tipp
»Ich werde nie wieder weinen«
Audio-Feature. Nachdem Kanzler Kohl den Gesetzesentwurf seiner jungen Umweltministerin einfach mal rasch von der Tagesordnung gewischt hatte, verließ Angela Merkel den Kabinettstisch. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ging ihr nach und fand sie aufgelöst im Vorraum der Damentoilette. »Es war das einzige Mal, dass ich Angela Merkel emotional erlebt habe«, sagt Leutheusser. Und Rita Süßmuth ergänzt: »Ihr Weinen wurde damals mit Spötteln kommentiert und als immense Schwäche ausgelegt.« Danach habe Merkel erklärt: »Ich werde nie wieder weinen.«
Diese Szene wird in der Podcast-Reihe »Merkel-Jahre« beschrieben, die vom Deutschlandfunk ausgestrahlt wurde und nun auch in der Audiothek des Senders abrufbar ist. Sie klingt wie eine Schlüsselszene zu dem, was die scheidende Bundeskanzlerin menschlich und politisch geprägt hat: Als junge Frau aus der DDR musste sie sich offenbar alle Gefühlsäußerungen verkneifen, um in der männlich dominierten Bundespolitik keine Angriffsfläche zu bieten. Das sprichwörtliche Pokerface und die unemotionale Sprache, für die Merkel inzwischen weltweit bekannt ist, werden hier plausibel.
In der sechsteiligen Hörfunk-Reihe folgen die Autoren Stephan Detjen und Tom Schimmeck dem Weg der langjährigen Kanzlerin von der Pfarrerstochter in Templin zur Akademie der Wissenschaften, wo die Physikerin promovierte. Sie zeichnen die Tage der Wende nach, in denen Angela Merkel ihren demokratischen Aufbruch erlebte, und beschreiben ihren Aufstieg in der CDU. Sie beleuchten eindrücklich die Krisen ihrer Kanzlerschaft, besonders im Flüchtlingsjahr 2015, und ihren ganz spezifischen Umgang mit ihren Gegnern.
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Das alles geschieht in diesem Podcast auf eine unterhaltsam plaudernde Weise, die überraschende O-Töne zusammenstellt, sich an Merkels Lebensorte begibt und diese auch sinnlich hörbar macht. In dem umfassenden Audio-Porträt erscheint die erste deutsche Bundeskanzlerin als herausragend intelligente, bodenständig-bescheidene, aber auch machtbewusste und widersprüchliche Persönlichkeit, der auch nach dem Hören etwas Rätselhaftes bleibt.
Und die Bilanz der Merkel-Jahre? »Die ist 16 Jahre ’ne arme Sau gewesen«, sagt ihr Weggefährte Rainer Eppelmann über die zahlreichen großen Krisen und Herausforderungen, die die Kanzlerin bewältigen musste. »Sie hätte mehr für das Klima tun müssen, gerade als Physikerin«, meint dagegen eine junge Aktivistin von Fridays for Future. Dennoch sei es gut gewesen, »dass Angela Merkel hier war. Und kein Orban oder Trump.«
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