Der Leblosigkeit entkommen
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Vor Kurzem las ich einen Bericht über eine trauernde Frau. Bei einer Naturkatastrophe während ihres Urlaubs konnte sie das Leben ihrer Kinder retten – nicht jedoch das ihres Mannes. Er starb. Der Text beschrieb all die emotionalen Tiefen, die mit dem Verlust ihres Partners verbunden waren. Als ich ihn las, ging mir ihre Erfahrung von Tod und Leid sehr nahe. Unter dem Beitrag gab es verschiedene Kommentare. Einer lautete sinngemäß, dass das zwar alles ganz schön traurig sei, aber man müsste ja auch nicht mit zwei kleinen Kindern für vier Wochen ans Ende der Welt reisen – und überhaupt, wie könne es sein, dass ein Kind so lange schulfrei habe.
Da war sie wieder: die in meinen Augen so typisch deutsche Verachtung des Leids anderer und damit verbunden auch die Verachtung der eigenen Gefühle. Verstec
Christoph Müller-Luckwald 06.10.2023:
Die auf dem Cover zu lesende Überschrift »Lasst mich werden, wer ich bin« sollte gedanklich ergänzt werden durch: damit ich werden kann, wer, was und wie ich bin. Und diejenigen, die queere junge Menschen angreifen und beleidigen, sollten zur Kenntnis nehmen, dass ihr aggressives Verhalten ursächlich gar nicht aus Ablehnungen hervorgeht, sondern dass sie ihre festgelegten Muster geschlechtlicher Zugehörigkeiten nicht verlassen oder hinterfragen wollen, weil sie fürchten, dann selbst nicht mehr zu wissen, wer sie eigentlich sind.
Johanna König 06.10.2023:
Es ist auch nicht gerade easy für »eindeutig Ausgeprägte«, die eigene Verwirrung zu sortieren und den richtigen Ton zu treffen im Umgang mit Menschen, die noch um ihre Identität ringen! Es bedarf der Bereitschaft, aber auch noch einiger Übung! Und es bedarf der Geduld und Nachsicht auf allen Seiten! Packen wir es an! Es sind unsere Mitmenschen! Es sind Gottes geliebte Kinder wie wir und alle, die unter seiner Sonne leben!
Hella Knütel 06.10.2023:
Die Behandlung der Identitätskonflikte Jugendlicher aus rein biologischer Sicht finde ich völlig unangemessen. Noch schlimmer: die (naturwissenschaftliche?) Sortierung der Menschen in Trans- und Cis-Exemplare! Sie suggeriert, dass eine »saubere« Trennung möglich, ja wünschenswert sei. Und schon bestimmen wieder andere, ob ich zur (normalen) Mehrheit gehöre oder zur (schutz- beziehungsweise behandlungsbedürftigen) Minderheit. Folgende wichtige Aspekte vermisse ich: Der Übergang vom Kind- zum Erwachsenendasein ist niemals »einfach« oder leidfrei. Wie bei der Geburt gibt es bei dem Gestaltwandel, der sich in der Pubertät vollzieht, Wehen und Ängste zu überstehen. Ich kenne niemanden, der sich in dem veränderten Körper von Anfang an wohlgefühlt hat. Zudem: Das »Leiden an dem zugewiesenen Geschlecht« ist meines Erachtens weniger eine biologische Angelegenheit als das Ergebnis einer Überformung durch gesellschaftliche Rollenklischees. Ich (weiblich) erinnere mich sehr genau an die Kränkungen, die mit der zugewiesenen Frauenrolle verbunden waren: Die Kleidungs- und Verhaltensvorschriften waren sämtlich dazu angetan, meine Wildheit zu beschneiden und meinen Willen zu brechen. Kann man von einem jungen Menschen erwarten, dass er (sie) sich auf ein Sklavinnen-Dasein freut? Und Jungs trifft es natürlich auch, nur von der anderen Seite. Sie werden gemobbt, wenn sie keine Sklavenhalter werden wollen. Der Tiefenpsychologe Carl Gustav Jung hat gelehrt, dass jeder Mensch sowohl weibliche als auch männliche Anteile in sich trägt. Nach ihm ist es die Aufgabe jedes Mannes, seine »Anima« zu integrieren, und die jeder Frau, ihren »Animus«. Erst durch die Entwicklung zu einem solchen Ganzmenschen verlieren wir die toxische Einseitigkeit, die mit der hundertprozentigen »Männlichkeit« beziehungsweise »Weiblichkeit« verbunden ist.
Irene Baumeister 06.10.2023:
»Lass mich werden, wer ich bin« bedeutet für mich primär eher eine innere Reise, Gespräche und Reflexion. Nicht notwendigerweise Hormonblocker, lebenslange Medikamentierung und unwiderrufliche Operationen an primären Geschlechtsmerkmalen. Ich finde es gut, wenn Geschlechtsrollen nicht zu eng und starr sind. Aber dieses Selbstbestimmungsgesetz schießt – nach meinem Eindruck – weit über das Ziel hinaus. Die Erfahrung einer Minderheit von Menschen – oft im kritischen Alter der Pubertät – wird als neue gesellschaftliche Leitlinie »vermarktet«, denn an Medikamenten und Operationen lässt sich auch viel Geld verdienen. Eine Gruppe, eher die Männer, kann über den Geschlechtswechsel Vorteile erlangen, zum Beispiel im Sport.