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Dieser Artikel stammt aus
Publik-Forum, Heft 17/2022
Der Inhalt:

Buch-Tipp
Beichte eines Überlebenden

Ein Roman über das Täter- und Opfersein, der ohne einfache Rollenmuster auskommt.
von Christoph Fleischmann vom 09.09.2022
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Sexuelle Gewalt: Steven Uhly führt mit klaren Worten in das Innenleben der Beteiligten (Foto: istockphoto / clu)
Sexuelle Gewalt: Steven Uhly führt mit klaren Worten in das Innenleben der Beteiligten (Foto: istockphoto / clu)

Roman. Es sei gar nicht so schwer, sich in Täter und Opfer von sexuellem Missbrauch hineinzuversetzen, sobald man entdecke, dass Täter- und Opfersein in jedem Menschen angelegt sei, erklärte der Schriftsteller Steven Uhly im Interview mit der Journalistin Christiane Florin. In dieser Erkenntnis steckt vielleicht das Geheimnis von Uhlys Roman »Die Summe des Ganzen«, der keineswegs das Verbrechen des Kindesmissbrauchs und die Verantwortung der Täter relativiert, sondern Beachtliches leistet, indem er das Thema über zu einfache Rollenbeschreibungen hinaus vertieft.

Dieser Artikel stammt aus Publik-Forum 17/2022 vom 09.09.2022, Seite 55
Die überforderte Gesellschaft
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Die Handlung spielt sich überwiegend in einem Beichtstuhl in Spanien ab. Da hat ein Mann etwas Schlimmes zu beichten und bringt es nicht an einem Stück heraus, sodass das Gespräch an den folgenden Tagen fortgesetzt wird: Es zeichnet sich ab, dass hier ein Überlebender von Missbrauch womöglich selber zum Täter geworden ist. Der Priester in der Nebenkabine ist von diesem Bekenntnis spürbar angefasst. Die Ungewissheit darüber, wer hier eigentlich welche Rolle übernimmt, macht das Buch spannend und führt zu einem überraschenden Twist am Schluss. Bis dahin zeigt Uhly in klaren und anschaulichen Sätzen einiges aus dem Innenleben der Beteiligten. Der Täter sucht eine »folgenlose, kindliche Form der Liebe« und nutzt dafür doch den Vorteil als Erwachsener brutal aus. Und als Priester nutzt er seine geistliche Macht aus, für die der Beichtstuhl nicht nur ein Symbol ist. Und natürlich ist es eine verheerende Illusion, dass die Liebe zum Kind folgenlos wäre: Das Opfer der bösen Tat hat ein Leben lang das Gefühl, Energie in eine Vergangenheit zu verlieren, die grausam präsent bleibt. Uhlys Roman zeichnet sich nicht nur durch genaue Introspektion aus, er zeigt auch, dass die kirchliche Schuldbearbeitung ungenügend ist und findet eine kluge theologische Pointe: Die ausbleibende Heilung des Täters von seinem zerstörerischen Begehren stellt Gottes Macht infrage und blockiert damit auch eine Hoffnung auf Heilung für die Opfer. Im Interview weist Steven Uhly deswegen darauf hin, dass die Kirche sich von ihrem vermeintlichen Monopol auf Erlösung verabschieden müsse. Ein erhellendes und weiterführendes Buch.

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