Von Mäusen und Menschen und Neurowissenschaften
Roman. Gifty ist Neurowissenschaftlerin. Für ihr Promotionsprojekt verbringt sie zu viel Zeit mit Mäusen im Labor. Sie widmet sich ihrer Forschung mit der obsessiven Hingabe, die sie früh gelernt hat: Als Kind in Alabama war sie Mitglied in einer evangelikalen Kirche, las begierig die Bibel und übernahm gänzlich das enge Weltbild des Pastors. Noch Jahre später schwirren ihr die Bibelverse von damals im Kopf herum und scheinen ihren Alltag zu kommentieren. Dabei hat sie die Religion längst gegen die Wissenschaft eingetauscht.
Zu Beginn des Romans nimmt Gifty ihre Mutter bei sich auf, die schwere Depressionen hat. Die ungewohnte Nähe zwingt Gifty dazu, sich mit den Traumata ihrer Familie zu beschäftigen. Unweigerlich wird es eine Auseinandersetzung mit ihrem Glauben, von dem sie sich mühsam befreite und dessen Überbleibsel sie im College zur Außenseiterin machten. Auf der Suche nach Heilung für ihre Mutter fragt sie sich, ob Religion nicht doch mehr sein könnte als ein repressives System und wie ihre geliebte neue Heimat, die Wissenschaft, damit zu vereinbaren sei. Sie findet Antworten im Gehirn einer Maus – und in der Erinnerung an eine lange zurückliegende Berührung.
Yaa Gyasi verwebt in der Handlung Episoden aus Giftys Gegenwart mit Erinnerungen an die Kindheit als schwarzes Mädchen in den USA. Das ist alles andere als linear konstruiert und gerade deshalb plausibel. Die nüchterne Erzählerin betrachtet die Menschen im Roman – auch sich selbst – mit großer Empathie. Das macht erstens ihren ganzen komplexen Verarbeitungsprozess verständlich und zweitens das Buch zu einem großen Gewinn.