Leserbrief
Bischöfe und Missbrauch
Zu: »Keine Angst vor Aufklärung!« (22/20, Seite 10)
Die Stärke des Aachener Gutachtens der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl aus München liegt auch darin, dass die administrativen Entscheidungsfindungen zum Umgang mit Tätern sexueller Verbrechen an Minderjährigen und Schutzbefohlenen sowie die Entscheider selbst sichtbar werden. Dabei besteht in der Rezeption des Gutachtens die Gefahr, die je individuellen Persönlichkeiten der Entscheider gegeneinander auszuspielen. Diesen Eindruck erweckt der obige Bericht. Denn das Gutachten macht deutlich, dass die menschliche Geste von Bischof Hemmerle, ein Opfer zu besuchen, keine strukturelle Veränderung der Entscheidungsfindung in Bezug auf die Täter während dessen Amtszeit nach sich gezogen hat. Wenn dann aber Bischof Mussinghoffs Handeln an dieser persönlichen Geste seines Vorgängers gemessen wird, sollte zumindest erwähnt werden, dass unter seiner Verantwortung als Ortsordinarius schon Anfang der 2000er-Jahre eine Kommission zum Umgang mit Missbrauch eingerichtet und bald darauf auch ein Präventionskonzept in Kraft gesetzt wurde. Nicht zuletzt sei darauf hingewiesen, dass Mussinghoff maßgeblich an den aktuellen Richtlinien der Deutschen Bischofskonferenz zum Umgang mit Missbrauch mitgearbeitet hat. Ein Schwarz-Weiß-Denken, hier der gute, dort der uneinsichtige Bischof, dient dem Ziel der Überwindung systemischer Ursachen kirchlichen Missbrauchs nicht. Johannes Schnettler, Aachen