Literatur
Jemand macht die Tür auf für die letzten Dinge
Buch. Das Haus ist alt und halb zerfallen. Der Erzähler lebt darin und hält es behutsam instand, er beobachtet die Natur ringsum – und lässt sich beobachten. Dabei begleitet ihn die Offenbarung des Johannes, das letzte Buch der Bibel, dessen eschatologisches Denken uns bis heute prägt. Was offenbart sich in der Krise? Der Autor Christian Lehnert lebt selbst in einer solchen Hütte (Publik-Forum 24/2021). Er ist Theologe, schreibt Gedichte, aber auch Prosa. Sein Buch »Das Haus und das Lamm« changiert zwischen Essay, Erzählung und Betrachtung, eine Art Meditation. Und so sollte man es auch lesen: in Ruhe und ohne die Erwartung, jederzeit zu verstehen, wohin das alles führt. Wer seine Ungeduld angesichts der langen Reflexionen des Einsiedlers überwinden kann, wird durch einen anderen Blick auf die (letzten) Dinge belohnt. Besonders eindrücklich sind die Naturbetrachtungen des Erzählers: Sie sind keineswegs verklärend. Er sieht auch absurdes Leiden und ungerechte Tode von Ameisen und Fliegen. Dass Gott alles zum Besten geschaffen hat, fällt schwer zu glauben. »Die Zecken könnten eher als absurde Zeugen eines bösen Demiurgen herhalten.« Der Erzähler will beten, aber weiß nicht, was genau er vor Gott bringen soll. »Was wusste ich denn, was die täglichen Geschehnisse, die Um- und Abbrüche bedeuteten?« Klar ist ihm aber: Wenn sich das Ich verschließt »zum abgepufferten, methodisch verpanzerten Selbstbehauptungsraum«, dann »verlässt es die gemeinsame Strömungsform mit allem Lebendigen und mit dem Unsichtbaren.« Dieses Buch ist ein Plädoyer, offen zu werden, porös, durchlässig für das Andere. Das macht es zu einer idealen Lektüre »zwischen den Jahren«.
Christian Lehnert: Das Haus und das Lamm.
Fliegende Blätter zur Apokalypse.
Suhrkamp. 267 Seiten. 26 €