Homosexualität und Kirche
Glaubwürdig?
Man reibt sich erstaunt die Augen: 125 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der katholischen Kirche in Deutschland outen sich als »queer« und verfassen eine Resolution gegen Diskriminierung im kirchlichen Arbeitsrecht und in der katholischen Sexualmoral, die inzwischen fast 85.000 unterstützende Unterschriften aufweist. Und die Rückmeldungen der Bischöfe und Generalvikare deutscher Diözesen überschlagen sich mit Worten der Anerkennung. Die Herren werfen mit Zustimmung um sich, als handle es sich um Konfetti. Der einhellige Tenor: Das ist mutig! Und notwendig! Und richtig! Negative Konsequenzen werde es nicht geben! Eine Änderung des kirchlichen Arbeitsrechtes stehe auf der Agenda ...
»Zu schön, um wahr zu sein«, möchte man da als erstaunter Betroffener sagen. Es klingt, als habe so mancher Bischof auf diesen Befreiungsschlag geradezu gewartet, um sich endlich als Fürsprecher der homo- und bisexuellen, der lesbischen, der Trans- und nicht binären Personen »outen« zu können. Einige Aussagen in diesem bemerkenswerten publizistischen Wettbewerb lassen besonders aufmerken: im Interview mit dem »Queer-Beauftragten« der Deutschen Bischofskonferenz (ja – den gibt es tatsächlich!), dem Essener Weihbischof Ludger Schepers, ist des Öfteren die Rede von »Betroffenheit« und sogar von »Zorn« über die Lieblosigkeit der Kirche hinsichtlich ihres Umgangs mit Homosexuellen. Da fragt man sich natürlich, wer das denn bis jetzt war – die Kirche!
Unter denen, die heute das Outing so lautstark loben, sind nicht wenige, die noch vor wenigen Jahren die Homosexualität in den Medien als »schwere Sünde« und »indiskutabel« bezeichnet haben und die keinen Millimeter von der offiziellen Lehre des Katechismus abwichen. Wenn die Empörung in den episkopalen Gemütern seit Jahren so groß ist, dass sie sich nun so massiv äußert, fragt man sich schon: Warum erst jetzt? Und warum ist unter den 125 Mutigen so mancher Diakon und so mancher Priester mit offenem Visier – aber kein einziger Bischof? Macht die Homosexualität etwa vor dem Weihegrad zum Episcopus Halt?
Positiv ist: Es scheint ein kollektiver Bewusstseinswandel eingetreten zu sein. Wenn das Bild nicht trügt, sind wir jetzt endlich gemeinsam ein sehr gutes Stück weitergekommen. Und das finden viele (wie ich auch) erst einmal gut! Die Äußerungen gehen sogar viel weiter, als man es sich noch bis vor kurzem erträumen konnte.
Jetzt aber kommt unausweichlich der Lackmustest auf die Bischöfe zu: Es geht nicht mehr nur um die Akzeptanz des einzelnen homo- oder bisexuellen Menschen: Hier steht die offizielle Anerkennung von deren Lebensverhältnissen, zu denen auch Partnerschaften bis hin zu unorthodoxen Familienkonstellationen gehören, zur Debatte. Reicht die Akzeptanz so weit, die seelsorgerische Betreuung nicht nur auf einen »Akt der Barmherzigkeit dem Einzelnen gegenüber« zu begrenzen, sondern auch gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften offiziell zu segnen? Dies wird ja flächendeckend schon praktiziert – und viele Bischöfe haben signalisiert, dass sie das tolerieren und die segnenden Geistlichen nicht disziplinieren wollen. Wäre es dann jetzt nicht an der Zeit und nur konsequent, den Widerstand gegen die römisch-vatikanische Linie in dieser Frage auf die Ebene der Bischöfe zu verlagern? Aber wer ist dazu bereit?
Sind sich die Bischöfe darüber im Klaren, dass spätestens mit der angestrebten Änderung des Arbeitsrechts die buchstabengetreue Lehre des Katechismus zur Disposition gestellt wird? Dass das inhaltlich längstens der Fall ist, wissen viele der Betroffenen – aber ist es auch den Bischöfen bewusst? Wäre nicht jetzt das klare Bekenntnis angezeigt, dass die kirchliche Lehre in diesem Punkt einer deutlichen theologisch begründeten Korrektur unterzogen werden muss? Das wiederum heißt automatisch, dass man sich ebenso klar dazu bekennt, (viel zu) lange Zeit an einer falschen Vorstellung festgehalten zu haben.
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Geschieht das alles nicht, so setzen sich die Bischöfe zwei Gefahren aus: Sie machen sich angreifbar, den Spalt zwischen Lehre (Katechismus) und pastoraler Realität zu vertiefen. Und sie ermöglichen es, ihr momentanes verständnisvolles Handeln als zeitgeistgesteuert, populistisch und nicht theologisch reflektiert diskreditieren zu lassen. Auf Dauer müssen Lehre und Praxis – Orthodoxie und Orthopraxie – zusammenkommen. Nachdem man nun zu lange erfolglos versucht hat, die Praxis einer wirklichkeitsfremden und menschenverachtenden Lehre anzugleichen, müsste konsequenterweise der umgekehrte (und in der Kirchengeschichte auch nicht unbekannte) Weg beschritten werden. Ist man dazu wirklich bereit?
Ich bin ehrlich: Ich traue dem momentanen Frühling nicht! Zu groß ist meine Sorge, dass jetzt schon in der Bischofskonferenz Sperrminoritäten organisiert werden, um die Impulse von #outinchurch oder die Ergebnisse des Synodalen Weges zu blockieren. Die Gefahr, dass dann die Oberhirten, die sich heute reformbereit zeigen, schulterzuckend resignieren und spätestens mit der Wahl des Nachfolgers von Papst Franziskus (der dann möglicherweise Benedikt XVII. oder sogar Pius XIII. heißt) zum römisch-katholischen Routinegeschäft zurückkehren, ist nicht unrealistisch. Zwar heißt es heute: »Der Weg der Reform ist unumkehrbar!«. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass ihn alle konsequent mitgehen. Wird man um einer nach außen demonstrierten Einheit der Bischöfe willen (in Deutschland seit Jahrzehnten eine Fiktion!) dann schließlich doch lieber die Reformer auflaufen lassen als eine vorübergehende Spaltung deutscher Diözesen in „liberal“ und „konservativ“ zu ertragen?
Kardinal Reinhard Marx sagte bei der Pressekonferenz zum Missbrauchsgutachten in München am 27. Januar bemerkenswerte Sätze, die sich sicherlich auch an einige seiner bischöflichen Mitbrüder richten: »Wer jetzt noch systemische Ursachen leugnet und einer notwendigen Reform der Kirche in Haltungen und Strukturen entgegentritt, hat die Herausforderungen nicht verstanden.« Der Volksmund sagt dazu: »... der hat den Schuss nicht gehört!« Noch gibt es zu viele Verantwortliche, die offensichtlich gar nicht wissen, wie ein Schuss klingt ...
Stefan Klöckner ist Professor für Musikwissenschaft und Musik des Mittelalters an der Folkwang Universität der Künste in Essen. Er war von 1997 bis 2016 als Ständiger Diakon tätig, bis er seinen Lebensgefährten heiratete und deswegen den kirchlichen Dienst beenden musste