Buchtipp
Frühmorgens spielt das Radio den Trauermarsch
Roman. In einer Kommunalka, einer einst bourgeoisen Großwohnung, leben in sechs Zimmern sechs Mietparteien. Küche, Bad und Toilette teilen sie miteinander. Es gibt Reibereien, Konflikte und sehr menschliche Begegnungen. Allein in seinem Zimmer lebt der Ingenieur Matwej Alexandrowitsch, der viel hört und sieht vom Zimmer gegenüber, wo vier Generationen von Frauen zusammen leben: die Urenkelin im Kindergartenalter, ihre 20-jährige Mutter Janka, die gerne Punksängerin wäre, Großmutter Maria Nikolajewna und Urgroßmutter Warwara, die als Hebamme auf einer überlasteten Entbindungsstation jobbt.
Der Roman »Zukunftsmusik« spielt an einem einzigen Tag, dem 11. März 1985, weit entfernt von Moskau in einer sibirischen Stadt. Was dieser Tag mit Zukunftsmusik zu tun hat, deutet sich um sechs Uhr früh an, als im hinteren Teil der Wohnung ein Radio angeschaltet wird, das Chopins Trauermarsch spielt. »Es ist ja nicht zu überhören, dass in Moskau schon wieder einer gestorben ist«, bemerkte Maria Nikolajewna. – »Und wer ist gestorben? (…) – Wer auch immer gestorben ist«, beschwichtigte Maria Nikolajewna, »ich muss mich jetzt fertig machen. Bis später.« Es ist Generalsekretär Konstantin Tschernenko, der tot ist – und ein gewisser Michail Gorbatschow wird sein Nachfolger werden: Das Ende der Sowjetunion steht bevor.
Die Autorin Katerina Poladjan schreibt über vier Leben an einem Wendepunkt der Geschichte: leicht, niemals anklagend, sondern heiter, spielerisch. Dabei geht es um existenzielle Fragen: Wie wollen wir leben? Könnten wir etwas für uns verändern? Gekonnt arbeitet sie mit Aussparungen, sodass beim Lesen eigene Gedanken und Gefühle entstehen. In dieser Zeit auch die Frage, wie die Menschen in Russland eine bessere Regierung bekommen könnten.
Fischer. 188 Seiten. 22 €