Kinotipp
Der vermessene Mensch
Kino. Der Vernichtungskrieg gegen die Herero und Nama in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika von 1904 bis 1908 ist in der letzten Zeit stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Erst 2021 erkannte die deutsche Regierung den Völkermord an, bat um Vergebung und vereinbarte Entschädigungszahlungen. Das warf auch die Frage nach der Rückgabe menschlicher Überreste auf. Bis heute lagern etwa 3000 Schädel in wissenschaftlichen Sammlungen, vor allem der Berliner Charité. Der Spielfilm »Der vermessene Mensch« versucht, dieses Kapitel deutscher Kolonialgeschichte in einer mit historischen Details unterfütterten Erzählung darzustellen. Im Zentrum steht der junge Ethnologe Alexander Hoffmann, der 1896 auf der Kolonialausstellung in Berlin die Herero-Dolmetscherin Kezia kennenlernt. Er ist fasziniert von der gebildeten Frau, die mit ihrer Gruppe auf eine kaiserliche Audienz hofft. Doch Hoffmanns Professor, ein Anhänger der evolutionistischen Rassentheorie, behandelt die Abgesandten wie Zootiere. Er lässt sie vermessen, um aufgrund der Schädelgröße zu »beweisen«, dass sie eine unintelligentere, minderwertigere »Rasse« seien. 1904, als es zum Aufstand der Herero kommt, reist Hoffmann nach Südwestafrika, um Artefakte zu sammeln, aber auch um Kezia wiederzusehen. Auf dieser Odyssee, bei der er hautnah die Gräuel von Krieg und Genozid miterlebt, lässt er sich mit Aussicht auf eine wissenschaftliche Karriere zu entsetzlichen Tabubrüchen verleiten. Dieser Antiheld verweist in seiner Mischung aus Idealismus, Ehrgeiz, Dünkel und Feigheit bereits auf die Monstrosität der Nationalsozialisten, die sich der Rassentheorie als Rechtfertigung für ihre Verbrechen bedienten. Der packende Film wurde an Originalschauplätzen in Namibia gedreht und dort auch zuerst gezeigt.
Film von Lars Kraume, 116 Min. Ab 12 J.