Kino-Tipp
Nicht von dieser Welt
Kino. »Kannst du nicht aufhören, schön zu sein?«, fragt Adriana entnervt die Mutter, nachdem diese von Männern bedrängt wurde. Mama ist Adrianas Ein und Alles und zugleich steter Quell der Sorge. Adriana ist zwölf Jahre alt, findet das Frausein abstoßend, trägt kurze Haare und Lederjacke und will Adri genannt werden. Das ärgert den autoritären Vater – der aber ohnedies nur Stress macht, sobald er abends nach Hause kommt und in den Kokon einbricht, den Mutter Clara um sich und ihre drei Kinder gesponnen hat. In diesem feinfühligen Drama wirft der Regisseur, ein Trans-Mann, autobiografische Schlaglichter auf seine Jugend im Rom der 1970er-Jahre in einer Familie der oberen Mittelklasse. Es ist eine Zeit, in der es für Kinder wie Adriana noch keinen Namen gibt. Adri selbst glaubt, von einer anderen Galaxie zu stammen. Und auch die Mutter, zwischen Euphorie und Depression schwankend, scheint nicht von dieser Welt. Dieser Film ist zugleich Studie einer dysfunktionalen Familie wie bittersüße Erinnerung an jene verstörende Phase des Übergangs zwischen Kindheit und Erwachsenwerden. Adri durchbricht das Schilfwäldchen um die Neubausiedlung, trifft auf ein Mädchen aus einer Baracke von Arbeitsmigranten und findet die erste Liebe. Der Fixstern von Adris Leben bleibt aber Penélope Cruz als unglückliche Mutter. Von ihr lernt Adri, sich mithilfe von Schlagershows in eine andere Welt wegzuträumen – eine Welt, in der Geschlechterrollen und Identitäten wandelbar sind.
L’Immensità – Meine fantastische Mutter
(It/F 2022). Film von Emanuele Crialese, 99 Min.
Ab 12 Jahren