Kino-Tipp
Wer das Sterben lernen will, muss leben
Kino. An einem von Papierstapeln umgebenen Schreibtisch waltet seit vielen Jahren Mr. Williams. Er ist leitender Beamter des London City Council, in dem über die Vergabe öffentlicher Bauaufträge entschieden wird. Seine Untergebenen nennen den Griesgram heimlich »the Old Man«, doch Scherze sind im Büroalltag verpönt. Es gilt, ein geräuschloses Rädchen im Getriebe zu sein und durch das Umherschieben von Akten den Eindruck von Geschäftigkeit zu erwecken. Doch dann wird bei dem Witwer eine unheilbare Krebserkrankung diagnostiziert. Was tun in den wenigen Monaten, die ihm noch vergönnt sind? Zunächst flieht er ins Seebad Brighton. Den Plan, Selbstmord zu begehen, lässt er aber fallen.
Dieser Film ist ein Remake von Akira Kurosawas »Ikiru«. Mit seinem Drehbuch gelingt dem Literaturnobelpreisträger Kazuo Ishiguro die fast nahtlose Übertragung des japanischen Klassikers in das noch vom Krieg gezeichnete London des Jahres 1953. Der Blick geht zurück in eine Epoche, in der Männer mit Schirm und Melone ins Büro gehen, die starre Klassengesellschaft jedoch bereits kleine Risse aufweist. Das verleiht dem stillen Melodram eine untergründige Spannung. Williams, gefangen in viktorianischen Konventionen, schafft es nicht, seinem Sohn von seiner Krankheit zu erzählen. Stattdessen vertraut er sich einer ehemaligen Angestellten an. Und er nimmt ein Projekt in Angriff, mit dem er die Welt ein kleines bisschen besser machen will, als sein Vermächtnis. Bill Nighy (wie Ishiguro für einen Oscar nominiert) legt in die Rolle eines zugeknöpften Beamten im Kampf gegen die Trägheit des Systems so viel Humor und existenzielle Tragik, dass man tief gerührt zurückbleibt – und sich fragt, warum es die Drohung einer »deadline« braucht, um die Dinge anzugehen, die im Leben wirklich zählen.