Pro und Contra
Angehörige von »Clans« einfacher abschieben?
Sebastian Fiedler: Ja!
Die aktuelle Debatte um eine vereinfachte Rückführung nicht-deutscher Staatsbürger in ihre Herkunftsländer war von markigen Überschriften geprägt, die mit der Sache herzlich wenig zu tun hatten. So titelten manche Medien: »Clan-Mitglieder abschieben, ohne dass sie straffällig waren.« Das stimmt so aber nicht.
Worum geht es tatsächlich? Am 10. Mai 2023 fand unter der Überschrift »Gemeinsame Flüchtlingspolitik von Bund und Ländern: Unterstützung der Kommunen, gesteuerter Zugang, beschleunigte Verfahren, verbesserte Rückführung« eine Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder statt. Als Ergebnis erarbeitete das Bundesinnenministerium ein Diskussionspapier mit Vorschlägen »zur Verbesserung der Rückführung«. Als einer von zahlreichen Vorschlägen findet sich dort der Entwurf für eine Änderung von Paragraf 54 des Aufenthaltsgesetzes, der vereinfacht gesagt regelt, in welchen Fällen das Interesse des Staates an einem Entzug der Aufenthaltserlaubnis im Vergleich zum Privatinteresse dieser Person am Verbleib im Land »besonders schwer wiegt«.
Unter den vielen im Gesetz aufgeführten Konstellationen finden sich auch solche, die eine strafrechtliche Verurteilung voraussetzen, aber keinesfalls ausschließlich. Wer zum Beispiel »zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft« oder »einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt«, muss nicht erst von Strafgerichten verurteilt worden sein, um die Voraussetzung dieser Vorschrift zu erfüllen. Vielmehr muss das zuständige Gericht nach Prüfung aller Beweise zu der Überzeugung kommen, dass dies faktisch so ist.
Das ist rechtsstaatlich geboten. Es geht bei der Ausweisung von Terroristen darum, eine Gefahr für unsere Sicherheit abzuwehren. Und nicht, wie in Strafverfahren, darum, jemanden während eines Gefängnisaufenthalts zu resozialisieren.
Der Vorschlag der Bundesinnenministerin ist lange überfällig und vollkommen richtig: Mitglieder und Unterstützer von kriminellen Vereinigungen – die Definition ist im Paragrafen 129 Strafgesetzbuch zu finden – sollen genau so behandelt werden wie Mitglieder und Unterstützer von Terrororganisationen. Das Wort »Clan« taucht im Vorschlag der Ministerin kein einziges Mal auf. Vielmehr geht es um organisierte Kriminalität und ums Verständnis dafür, wie verheerend deren demokratiezersetzende Wirkung für unsere Gesellschaft ist. Im Übrigen gilt: »Angehörige« krimineller Gemeinschaften müssen genauso wenig zwingend Verwandte sein wie ein Muskelkater zwingend eine starke Katze ist.
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Thomas Feltes: Nein!
Das Wahlkampfgetöse im Vorfeld der Wahl in Hessen ist ein Skandal. Hier wird versucht, auf dem Rücken einer Bevölkerungsgruppe Parteipolitik zu betreiben. Die angebliche »Clankriminalität« ist eine Schimäre; sie dient dazu, populistische Interessen zu befriedigen. Unter dem Begriff werden Menschen mit einem bestimmten Nachnamen erfasst, wenn sie Straftaten begehen. Es wird nicht zwischen Ladendiebstahl oder Mord unterschieden.
Nur ein Bruchteil der Mitglieder von »Clanfamilien« wird tatsächlich straffällig. In Berlin wurden zuletzt 520 000 Straftaten registriert, davon wurden 872 der sogenannten »Clankriminalität« zugerechnet, das sind weniger als 0,2 Prozent aller angezeigten Taten. Heute gibt es keine zusammenhängenden, homogenen Gruppen und keine zentralen Führungspersonen des jeweiligen Gesamt-»Clans« mehr. Kriminalität findet, wenn sie sich ereignet, nicht innerhalb der Großfamilie statt, sondern innerhalb von Banden mit teilweise unterschiedlicher Nationalität, wie wir sie auch bei Biodeutschen kennen.
Kriminalität ist keine Frage des Passes oder der ethnischen Zugehörigkeit, sondern eine der sozialen Lage. Bei allen Menschen, die sich in einer prekären sozialen Lage befinden, haben wir erhöhte Kriminalitätsraten. Statt zu stigmatisieren und zu diffamieren, müssen wir allen, die in Deutschland leben, die Möglichkeit geben, sich zu integrieren und ihre Lage zu verbessern. Mit Abschottung und Abschiebung lassen sich keine Probleme lösen, die Forderung nach »mehr davon« bedient nur das wachsende rechte Spektrum in der Gesellschaft; es gefährdet das Vertrauen in den Staat, das ohnehin seit vielen Jahren sinkt.
Wir müssen Kindern und Jugendlichen die Hand reichen, ihnen deutlich machen, dass es sich lohnt, in dieser Gesellschaft zu leben. Die Forderung nach mehr Abschiebungen zeigt, dass man Menschen im Wortsinn ausgrenzen will. Der Weg zur Integration wird verbaut, dabei sind diese Menschen Bestandteil (und auch Produkt) unserer Gesellschaft und werden es auch bleiben.
Angebliche »Clankriminelle« werden zu Sündenböcken für gesellschaftliche Probleme gemacht, deren Ursachen in ganz anderen Bereichen liegen. Das ist höchst gefährlich, weil wir gegenwärtig ohnehin eine gesellschaftlich brüchige Situation haben. Die Menschen sind aufgrund der aktuellen und vergangenen Krisen verunsichert, die »German Angst« wird immer stärker. Politiker, die nicht begreifen, dass es dringend geboten ist, Brücken zu bauen statt Brücken zu zerstören, fördern den Abbau unserer Demokratie. Sie legen die Axt an die ethisch-moralischen Grundprinzipien unseres Gemeinwesens.
Sebastian Fiedler ist Kriminalbeamter und Abgeordneter der SPD im Deutschen Bundestag.
Thomas Feltes ist Jurist, Kriminologe und Polizeiwissenschaftler. Er lehrte an der Ruhr-Uni Bochum.
Gustav Haab 01.09.2023, 22:15 Uhr:
Man muss wissen, dass im Rahmen der organisierten Kriminalität Clanangehörige gezielt eingeschleust werden, um Straftaten zu begehen. Diese versuchen, unsere gesellschaftlichen Rechte geschickt -auch anwaltlich unterstützt - auszunutzen. Die Aufklärungsbemühungen der Strafverfolgungsorgane sind in vielfältiger Weise erschwert. Nicht zuletzt durch Sprachbarrieren oder den Einsatz medial-technischer Kommunikationsmittel durch die Gegenseite. Der personale und finanzielle Aufwand der Aufklärungsbehörden ist enorm. Die von Prof. Feltes angesprochenen Zahlen dokumentieren nicht den finanziellen Erfolg organisierter Clankriminalität, dessen Schätzungen einem die Schamröte ins Gesicht treiben können. Seine Botschaft der Nächstenliebe wird von Clanangehörigen als Schwäche und defizitäre Humanität ausgelegt und ausgenutzt. Ich bezweifele, ob unser Bildungssystem das ausgleichen kann.