Pro und Contra
Autos raus aus der Innenstadt?
Ja, das macht die Stadt lebenswerter!
Eine autofreie Innenstadt hat viele Vorteile: Die Luftqualität wird besser – außer Stickstoffdioxid gefährden auch Benzol und Rußpartikel die Gesundheit. Die Unfallgefahr nimmt ab, Kinder haben mehr Spielmöglichkeiten, der Verkehrslärm verschwindet und der Parkraum kann anders genutzt werden. Dadurch wird die Stadt für alle lebenswerter.
Der Aufwand ist erst einmal nicht groß. Städte brauchen zunächst nur Verkehrsschilder und Personal, um die Einhaltung der Verkehrsbeschränkungen zu kontrollieren. Der Prozess sollte aber gut vorbereitet werden. Vor allem braucht es viele Diskussionen, um Bewohner und Geschäftsleute zu überzeugen. Vielfach hat der Handel Bedenken. Ein Zuliefererverkehr wäre aber weiterhin möglich. Und dass die Kunden sogar lieber in autofreien Innenstädten einkaufen, haben die Fußgängerzonen gezeigt, die seit den 1960er-Jahren entstanden sind. Im Großen und Ganzen nutzt es dem Handel, wenn die Menschen ihr Auto nicht mehr als rollende Einkaufstüte benutzen können. Für Anwohner gäbe es Ausnahmeregelungen bei Umzügen, ebenso für Handwerker, Feuerwehr oder Ärzte. Es gilt, lebenspraktische Regeln zu finden.
Kosten kommen auf Städte sicherlich für Ausbau und Betrieb des Öffentlichen Personennahverkehrs zu. Doch wir erwarten auch in anderen Bereichen, wie Schulen und Sportstätten, eine funktionierende Infrastruktur. Ein guter Öffentlicher Personennahverkehr sowie ein attraktives Rad- und Fußwegenetz müssen künftig zur Grundausstattung von Städten gehören. Allein wegen der Klimakrise bleibt keine andere Wahl, als die Verkehrswende so schnell wie möglich anzugehen. Wir müssen die Emissionen auf null reduzieren! Das sehen immer mehr Menschen so. Gegen autofreie Innenstädte gäbe es vermutlich viel weniger Widerstand, als es Politiker befürchten.
Nein, das gefährdet den Handel!
Was macht die Lebensqualität und Attraktivität einer Innenstadt aus? Wohnen, Arbeiten, Gastronomie, Kultur und Freizeit sind die belebenden Faktoren. Voraussetzung ist aber die gute Erreichbarkeit und die zentrale Lage. Nur dann siedeln sich Unternehmen an und akzeptieren höhere Mieten als am Stadtrand. Wer ausschließt, dass man die Angebote der Innenstadt mit dem Auto erreicht, nimmt der Innenstadt den entscheidenden Attraktivitätsfaktor. Dies führt dazu, dass Firmen in andere – mit allen Verkehrsmitteln erreichbare – Lagen ziehen.
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Seit das Einkaufen von jedem Ort aus und rund um die Uhr online möglich ist, scheint sich auch die enge Verbindung zwischen Handel und Innenstadt zusehends aufzulösen. Die Innenstädte sollten daher mehr bieten als bisher: Eine hohe städtebauliche Qualität und ein Einkaufserlebnis, das mit Kultur, mit Events und gastronomischen Angeboten verknüpft wird. Dazu gehört auch, dass sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln, mit dem Auto, dem Reisebus, per Fahrrad und zu Fuß gut erreichbar sind. Nicht zuletzt auch für Zulieferer, Entsorgungsbetriebe und Handwerker.
Nicht jede Fachkraft, jeder Kunde, Geschäftspartner oder Dienstleister kann mit Bus und Bahn kommen. Und was nützt es, wenn der Autoverkehr aus der Innenstadt herausgehalten wird, er sich dafür aber anderswo staut und gleichzeitig die Geschäfte in der Innenstadt Kunden verlieren, weil diese lieber mit dem eigenen Auto zu den Einkaufszentren am Stadtrand fahren?
Bevor man über eine autofreie Innenstadt nachdenkt, sollte man alternative Mobilitäts- und Parkplatzangebote schaffen und die öffentlichen Räume aufwerten. Nötig ist ein stimmiges Gesamtkonzept, das die Bedürfnisse von Anwohnern, Besuchern und Gewerbetreibenden berücksichtigt.
Oscar Reutter, geboren 1958, ist Co-Leiter des Forschungsbereichs Mobilität und Verkehrspolitik im »Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie« und Honorarprofessor an der Universität Wuppertal.
Ulrich Caspar, geboren 1956, ist Präsident der Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main.
Friedemann Seitz 07.04.2020, 12:03 Uhr:
Das vermeindliche Grundrecht auf freie Fahrt und freien Parkplatz jederzeit und überall widerspricht zutiefst dem Wesen einer Innenstadt. Die Lebenqualität der kurzen Wege, fußläufige Begegnungen und Erledigungen, wird dadurch verhindert. Die schönsten historischen Häuser werden durch den ungebremsten Verkehr entwertet und dadurch dem Verfall preisgegeben.
Der Großteil des Individualverkehrs ist irrational und nicht durch Handel oder Transport zu begründen. Autos werden immernoch größer, lauter und gefährlicher.
Es ist längst überfällig, dass diese Politik sich ändert, die nicht einmal demokratisch gedeckt ist, sondern von "wirschaftlichen" Interessen geleitet wird.
Christof Bretscher 05.04.2020, 08:08 Uhr:
Mainstream wie Autofreie Innenstädte ist nicht hilfreich. Die Argumente sind bekannt, aber oberflächlich, weil nicht daran orientiert, dieses Ziel auch wenigstens halbwegs zu erreichen. Die Schwächsten werden wieder mal ausgeklammert. So viele Ausnahmen kann man gar nicht verteilen, wie nötig wären. Unzureichender öffentliche. Nahverkehr im Umland, wer ihn ausbaut, muss ihn bezahlen, ich kenne keinen Geldgeber, der dazu dauerhaft fähig und bereit wäre. Zum Nulltarif fahren muss von den Kommunen bezahlt werden. Die Einkaufsmöglichkeiten der Innenstädte verringern sich, weil sich viele Geschäfte außerhalb platzieren oder es wird halt online gekauft. Weil ja Schleppen größerer oder schwerer Teile zu und von Bus oder Tram sehr beliebt sind, besonderes bei den Älteren. Fahrten, um mehrere Einkaufs - oder Sprech/Besuchstermine überlegt zu erledigen, werden ohne Auto nur eingeschränkt möglich. Die Städter fahren dann raus. Verkehrsströme können intelligenter vermindert und gelenkt werden.
Ulrike Blattert 30.03.2020, 17:32 Uhr:
Ausser den Vorteilen für die Luftqualität, Sicherheit für Fahrradfahrer, Kinder vor allem, gibt es noch den Aspekt der Flächengerechtigkeit. Sehr viel öffentlicher Raum wird für Autos in Anspruch genommen, den man für lebenswerte Innenstädte nutzen könnte. Das fördert den Handel und macht Fußgängerzonen attraktiv für Laufkundscchaft.
Anton Maier 29.03.2020, 12:14 Uhr:
Ich bringe eine Bekannte, über 81 Jahre alt und sehr schlecht
zu Fuß,vom Land - mit dem Auto zu den Ärzten und zum Optiker.
Bisher waren die Praxen und der Optiker am Rande der Fußgängerzone
und ich konnte mit dem Auto hinfahren.
Nachdem die Fußgängerzone ausgeweitet wurde,
mußte sie neue Ärzte und einen neuen Optiker suchen.
Georg Lechner 29.03.2020, 09:34 Uhr:
Die Stadt Hasselt in Belgien, die statt einer teuren Umfahrung in Gratis-Öffis investiert hat, zeigt, dass es nicht nur möglich ist, sondern auch die anfänglichen Skeptiker dort von der Lösung überzeugt sind.
Die Bedenken von Ulrich Caspar sollten aber Anlass sein, aus realen Fehlentwicklungen zu lernen:
1. Wenn das Parken in der Innenstadt kostet, am Stadtrand aber nicht, sterben die Geschäfte in der Innenstadt.
2. Es braucht eine Abstimmung mit den Umlandgemeinden (wie etwa in Osttirol praktiziert), um eine Erpressung durch die Unternehmen hintanzuhalten, die an die billige Peripherie ausweichen möchten (wegen der zwischenzeitlichen Abwanderung in Nachbargemeinden hat Wr. Neustadt kapituliert und den peripheren Einkaufstempel "Fischapark" genehmigt - mit den erwartbaren Folgen für die Innenstadt