Pro und Contra
Brauchen wir wieder eine Wehrpflicht?

Thomas Silberhorn: Ja!
Ohne Wehrpflicht geht es nicht. Die Bundeswehr hat aktuell gut 180 000 Soldaten. Das sind weniger als die bei Aussetzung der Wehrpflicht beschlossene Sollstärke von 185 000 Soldaten. Das Ziel, jährlich 20 000 junge Leute für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr zu gewinnen, ist nicht erreicht.
Unsere Bedrohungslage hat sich seither fundamental verändert: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die europäische Sicherheitsarchitektur zerstört. Während im Kalten Krieg das Gleichgewicht des Schreckens auf die Wahrung des Status quo abzielte, setzt Russland heute auf die Erweiterung seines Imperiums mit militärischer Gewalt. In den letzten drei Jahren hat es auf Kriegswirtschaft umgestellt und produziert in drei Monaten mehr Panzer als die Bundeswehr hat. Russland arbeitet mit China, Nordkorea und Iran militärisch zusammen, erhält Waffen und Munition, aus Nordkorea auch Soldaten, und unternimmt gemeinsame Übungen.
Die Nato hat auf die veränderte Bedrohungslage reagiert und im November 2024 neue Mindestfähigkeitsanforderungen festgelegt. Die Ziele sollen sicherstellen, dass alle Nato-Mitglieder die kollektive Verteidigungsfähigkeit stärken. Deutschland hat sich verpflichtet, fünf bis sechs neue Brigaden aufzustellen. Die bisherigen Planungen müssen daher um weitere etwa 30 000 Soldaten erweitert werden. Dazu kommen Unterstützungseinheiten etwa für Logistik, Transport und Kommunikation. Rechnet man weitere Fähigkeiten wie den dringend nötigen Ausbau der Luftverteidigung dazu, summiert sich die erforderliche Personalstärke der Bundeswehr auf rund 270 000 Männer und Frauen.
All das fußt auf der Annahme, dass die Nato zusammenhält. Doch die USA mit Präsident Donald Trump haben ihren Schutz für Europa mit Fragezeichen versehen und stellen die Bündnissolidarität infrage, womit der Schaden schon eingetreten ist. Denn bei Abschreckung kommt es auf das Kalkül eines potenziellen Aggressors an, der sich ermutigt fühlen könnte, die Beistandsklausel der Nato zu testen.
Publik-Forum EDITION
»Das Ende des billigen Wohlstands«
Wege zu einer Wirtschaft, die nicht zerstört.»Hinter diesem Buch steckt mein Traum von einer Wirtschaft, die ohne Zerstörung auskommt. / mehr
Wer in Freiheit und Demokratie leben will, muss bereit sein, sie zu verteidigen. 180 000 Männer und Frauen der Bundeswehr genügen dafür nicht. Als das größte und wirtschaftlich stärkste Land Europas steht und fällt die Verteidigungsfähigkeit des Kontinents mit unserer Bereitschaft, das dafür Notwendige zu tun. Es ist an uns, eine glaubwürdige Abschreckung aus eigener Kraft herzustellen. Für die materielle Ausrüstung stellt der Bund jetzt die Weichen, der personelle Aufwuchs der Bundeswehr muss folgen. Die Verantwortung für unsere Sicherheit tragen wir selbst. Unsere Partner können unterstützen, aber ersetzen werden sie uns nicht.
Johannes Varwick: Nein!
Die durch den russischen Angriffskrieg verursachte Zeitenwende führt – wohl zwangsläufig – zur radikalen Infragestellung sicherheitspolitischer Gewissheiten. Nachdem Verteidigungsminister Boris Pistorius bereits 2024 ein Modell für einen neuen Wehrdienst vorgeschlagen hat, wonach alle jungen Frauen und Männer eines Jahrgangs zumindest erfasst werden und ein Teil davon auf zunächst freiwilliger Basis einen Wehrdienst von bis zu 23 Monaten leisten können soll, hat sich die Debatte jetzt noch mal intensiviert.
So verständlich angesichts der russischen Aggression ein neues sicherheitspolitisches Denken ist, so wenig sollte nun das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werden. Das gilt für die Debatte um die Erhöhung der Verteidigungshaushalte, die Maß und Mitte verlassen hat und auch für die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Aktuell fehlen der Bundeswehr etwa 20 000 Soldatinnen und Soldaten. Die zahlreichen bestehenden Möglichkeiten, Wehrdienst freiwillig zu leisten, sind eher ein Ladenhüter. Um »kriegstüchtig« zu werden, müsse die Bundeswehr von derzeit rund 180 000 Soldatinnen und Soldaten auf mindestens 250 000 aufwachsen, heißt es. Dies gelänge nur, wenn die 2011 ausgesetzte Wehrpflicht wiedereingeführt werde. Daher brauche es Zwang. Schätzungen zufolge würde das einen zweistelligen Milliardenbetrag jährlich kosten. Allein die im Jahr 2012 abgeschafften 52 Kreiswehrersatzämter hatten etwa 4 100 Dienstposten, es müssten zahlreiche Kasernen neu gebaut oder instandgesetzt, umfassende Kapazitäten für Ausbildung neu geschaffen werden.
Das finanzielle Argument ist jedoch nur die eine Seite. Wichtiger ist: Von den rund 700 000 jungen Menschen pro Jahrgang leisten aktuell bereits etwa 95 000 einen freiwilligen Gesellschaftsdienst, der von vielen als sinnstiftend empfunden wird – und für den es mehr Nachfrage als Angebot gibt. Für einen Dienst bei den Streitkräften gilt das offenkundig nicht. Über die Einführung eines besser ausgestatteten Freiwilligendienstes, der entweder bei der Bundeswehr oder bei anderen Einrichtungen geleistet werden könnte, ließe sich reden. Aber die klassische Wehrpflicht (deren Gegenpol ein Zivildienst sein müsste) ist ein Grundrechtseingriff, der vielen zupasskäme, der aber nicht in die Zeit passt. Wir brauchen keine Militarisierung des Denkens, sondern die Rückkehr zu einer ausgewogenen Sicherheitspolitik, die Verteidigungsfähigkeit mit ordentlich ausgestatteten und auskömmlich finanzierten Streitkräften sicherstellt. Wer aber jetzt die alte Wehrpflicht wieder aus der Mottenkiste holt, der gibt nicht die richtigen Antworten auf eine Lage, in der Sicherheitspolitik breiter als in militärischen Kategorien gedacht werden sollte.
Thomas Silberhorn ist Abgeordneter der CSU im Deutschen Bundestag.
Johannes Varwick ist Professor für Internationale Beziehungen und europäische Politik in Halle.

Dirk Harms 22.03.2025, 19:51 Uhr:
Freiheit kann nur gelebt, nicht aber mit Waffen verteidigt werden. Das erste Opfer bei der Verteidigung der Freiheit mit Waffen ist die Freiheit selbst.
Theo Vestweber 21.03.2025, 22:55 Uhr:
Da viele Menschen sich nicht mehr darüber bewusst sind, dass unsere Freiheit lange Zeit auch der Bundeswehr zu verdanken war, müsste eine Form gefunden werden, in der junge Menschen in Anbetracht der Aggressionen Putins wieder damit konfrontiert werden!
Für einen Ladenhüter halte ich hingegen eine Kasernierung. Wieso müssen junge Menschen, die unser Land verteidigen wollen und meist in einer halben Stunde vorort wein können, in Kasernen verbringen? Mit Drohnen sind sie leicht anzugreifen und dann sind viele bereits tot, bevor sie zum Einsatz kommen.
Joachim Bayer-Beck 21.03.2025, 18:36 Uhr:
Wir brauchen Abrüstung und keine Aufrüstung!!!
Niemand sollte zum Kriegsdienst gezwungen werden.
Georg Weil 21.03.2025, 17:45 Uhr:
Die Diskussion um die Wehrpflicht wird gerade neu befeuert durch das eigenwillige Verhalten des amtierenden US-Präsidenten. Jetzt wird so getan, als bestünde sofortiger, dringender Handlungsbedarf. Worüber nicht diskutiert wird: Wie konnte es so weit kommen, dass die Demokratie in den USA dermaßen aus dem Ruder lief. Und was kann dafür getan werden, die Bevölkerung der USA dabei zu unterstützen, dass ihr Land nicht in eine Diktatur abgleitet. Völlig indiskutabel ist darüber hinaus, dass immer noch Uran-Geschäfte mit Russland laufen oder russisches Öl über Umwege nach Deutschland und in andere EU-Staaten importiert wird. Wer glaubwürdig eine Wehrpflicht einfordert, der müsste zunächst diese Verteidigungslücken schließen. Und wenn glaubwürdig und stringent Handelsboykotte organisiert würden, dann kann es gut sein, dass es komplett überflüssig ist, darüber zu diskutieren, ob die Wehrpflicht wieder eingeführt werden muss.
Stefan Brückmann 20.03.2025, 16:20 Uhr:
Wir brauchen eher so etwas wie ein zwei soziale Jahre für alle.
Also ein Jahr nach der Schule und eines nach dem Arbeitsende vor dem Renteneintritt. Was man dann macht bleibt jeden überlassen. Altenpflege, Kindergarten, Schule, Krankenhaus, Bundeswehr, Feuerwehr, Rettungsdienst.
Wichtig, nicht nur die Jungen Menschen sondern auch die alten müssen sich daran beteiligen und etwas für den (Sozial-)Staat tun. Männer, Frauen, jung und alt.