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Dieser Artikel stammt aus
Publik-Forum, Heft 17/2021
Der Inhalt:
Politik & Gesellschaft

Pro und Contra
Ist Nichtwählen undemokratisch?

60,4 Millionen Menschen sind am 26. September zur Wahl des Deutschen Bundestags aufgerufen. Doch längst nicht alle nehmen ihr Wahlrecht wahr. Bis zu 30 Prozent der Berechtigten gaben bei vergangenen Bundestagswahlen überhaupt keine Stimme ab. Ist das die falsche Entscheidung? Stimmen Sie ab.
vom 09.09.2021
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Ist ein Kreuz bei den Nichtwählern auch eine politische Aussage? Oder einfach nur undemokratisch?(Foto: VRD / stock.adobe.com)
Ist ein Kreuz bei den Nichtwählern auch eine politische Aussage? Oder einfach nur undemokratisch?(Foto: VRD / stock.adobe.com)

Eva-Maria Lerch:

Ja, das untergräbt
die Demokratie

Zur Bundestagswahl im September treten 47 Parteien an. Da hat man die Auswahl – von den beiden aktuellen Regierungsparteien über die vier höchst unterschiedlichen Oppositionsfraktionen bis hin zu radikalen außerparlamentarischen Gruppierungen, etwa der marxistisch-leninistischen MLPD. Man kann eine Internetpartei wie die Piraten, eine wertkonservativ-ökologische wie die ÖDP, Klientelparteien wie die Grauen Panther, regionale Gruppen wie die Brandenburger Vereinigte Bürgerbewegungen wählen oder sein Kreuz für die blumigen Ideale der Pinken einsetzen. Wer da behauptet, dass überhaupt keine Partei für seine Interessen eintritt und »die Politiker ja doch alle gleich« seien, belegt damit nur seine Ignoranz.

Dieser Artikel stammt aus Publik-Forum 17/2021 vom 10.09.2021, Seite 8
 Im Schatten der Türme
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Wie der 11. September Muslime in Deutschland verändert hat

»Für mich ist es jedes Mal ein erhebendes Gefühl, wenn ich zum Wahllokal laufe«, sagte unsere frühere Kollegin Bettina Röder. Sie hatte ihr halbes Leben in der DDR verbracht, die Friedliche Revolution mit vorbereitet und empfand es als Durchbruch, endlich an freien Wahlen teilzunehmen und echte Alternativen ankreuzen zu können. Derzeit reicht ein Blick nach Afghanistan, um zu sehen, was eine Willkürherrschaft ohne eine demokratisch gewählte Regierung für die Menschen im Land bedeutet.

Natürlich reicht es nicht, alle vier Jahre ein Kreuzchen auf einem Zettel zu machen. Für eine lebendige Demokratie braucht es engagierte Menschen, die ihren Regierenden auf die Finger schauen, die Strukturen der Parteien infrage stellen, die diskutieren, Petitionen einreichen, Bürgerentscheidungen auf den Weg bringen und auf die Straße gehen. Doch je niedriger die Wahlbeteiligung, um so mehr verliert das parlamentarische System an Legitimation. Und wer nicht mal wählen geht, hat die Demokratie schon aufgegeben.

Christoph Fleischmann:

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Nein, Nichtwähler haben eine Stimme

»Aus Mamas Sicht steht bei jeder Wahl in jedem Wahlprogramm eigentlich nur: Wir interessieren uns nicht für dich.« So erklärte die Journalistin Anja Mayr vor einigen Jahren, warum ihre Eltern, beide Langzeit-Hartz-IV-Empfänger, nicht wählen gehen. Mayrs Eltern sind kein Einzelfall: »Je ärmer ein Stadtteil ist, je höher die Arbeitslosenquote, desto geringer ist die Wahlbeteiligung«, resümiert der Politologe Armin Schäfer seine Forschungen zur Wahlbeteiligung. Unter anderem deswegen seien Anliegen von armen Menschen auch viel schlechter in den Parlamenten vertreten als die von Wohlhabenden. Dies ändert man nicht durch Appelle, doch bitte wählen zu gehen, sondern nur durch eine andere Politik oder eine andere Struktur der Demokratie.

Damit die Stimmen von Menschen wie den Eltern von Mayr gehört werden, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder eine Mindestwahlbeteiligung einzuführen: Bei einer Wahlbeteiligung von, sagen wir, weniger als 75 Prozent müssten Wahlen wiederholt werden mit neuem Angebot. Dann würde eine Stimme zählen, die sagt: Die Parteien interessieren sich alle nicht für mich. Und man müsste nicht aus Protest eine rechtspopulistische Partei wählen oder seine Stimme bei einer Splitterpartei verschenken.

Andere Möglichkeit: Statt durch eine Wahl könnte man Parlamente per Losverfahren bestimmen; so tat es die älteste Demokratie der Welt, das antike Athen. Die ausgelosten Parlamentarier wären ein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung: Arme, Frauen, zugewanderte Deutsche wären ihrem Bevölkerungsanteil gemäß repräsentiert. Die Erfahrung mit ausgelosten Bürgerräten zeigt, dass solche Gremien mit der Hilfe von beratenden Experten zu sehr sachgerechten Entscheidungen finden können. Das wär ein Fest der Demokratie ohne Wahl.

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Personalaudioinformationstext:   Eva-Maria Lerch ist Redakteurin im Ressort »Leben und Kultur« von Publik-Forum.

Christoph Fleischmann ist Redakteur im Ressort »Religion und Kirchen« von Publik-Forum.
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Ist Nichtwählen undemokratisch?

60,4 Millionen Menschen sind am 26. September zur Wahl des Deutschen Bundestags aufgerufen. Doch längst nicht alle nehmen ihr Wahlrecht wahr. Bis zu 30 Prozent der Berechtigten gaben bei vergangenen Bundestagswahlen überhaupt keine Stimme ab. Ist das die falsche Entscheidung? Stimmen Sie ab.
37 x Ja, das untergräbt die Demokratie
17 x Nein, Nichtwähler haben eine Stimme
insgesamt abgegebene Stimmen: 54
69%
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Michael Heinrich 08.10.2021:
Es ist ein bisschen wie immer: Sowohl die Pro- als auch die Contra-Positionen haben ihre Berechtigung. Auch Nichtwähler hätten eine Stimme, wenn denn die Ideen von Christoph Fleischmann Realität würden. Bis dahin untergräbt das Nichtwählen tatsächlich die Demokratie und unterstreicht lediglich die weiter anwachsende Politikerinnen- und Politikerverdrossenheit.

Andreas Kiel 08.10.2021:
Es gibt Rechte, die der Bürger hat, die er auch in Anspruch nimmt. Wenn es Geld vom Staat gibt, sind sie alle sofort da und halten die Hände auf. In meinen Augen gibt es aber auch Pflichten des Bürgers, und dazu gehört, zur Wahl zu gehen. Und es ist egal, ob Betriebsrat, Bürgermeister oder eben Parlamente gewählt werden. Ich bin bis jetzt zu jeder Wahl gegangen und werde das weiterhin als meine Pflicht gegenüber dem Staat sehen.

Georg Lechner 23.09.2021, 15:50 Uhr:
Ich habe keine Wahl ausgelassen, aber vereinzelt ungültig gewählt und dies auch in einem vorbereiteten Schreiben ausführlich begründet. Angesichts der Umverteilung von unten nach oben kann ich aber alle verstehen, die die Hoffnung auf eine Änderung der Verhältnisse aufgegeben haben. Die plutokratische Unterwanderung der Demokratie ist nicht zu bestreiten - in Österreich durch die Aussagen im "Ibiza - Video" explizit belegt.

Michael Heinrich, Würzburg 11.09.2021, 13:02 Uhr:
Es ist ein bißchen wie immer: Sowohl die Pro- als auch die Contra-Positionen haben ihre Berechtigung. Auch Nichtwähler hätten eine Stimme, wenn denn die Ideen von Christoph Fleischmann Realität würden. Bis dahin untergräbt das Nichtwählen tatsächlich die Demokratie und unterstreicht lediglich die weiter anwachsende Politikerinnen- und Politikerverdrossenheit.

andreas kiel 11.09.2021, 12:50 Uhr:
Es gibt Rechte die der Bürger hat die er auch in Anspruch nimmt.
Wenn es Geld vom Staat gibt sind sie alle sofort da und halten die Hände auf.
In meinen Augen gibt es aber auch Pflichten des Bürgers und dazu gehört zur Wahl zu gehen. Und es ist egal ob Betriebsrat, Bürgermeister oder eben Parlamente gewählt werden. Ich bin bis jetzt zu jeder Wahl gegangen und werden das weiterhin als meine Pflicht gegenüber dem Staat sehen. Wer nicht zur Wahl geht darf dann aber auch nicht meckern, es gibt genug Parteien die man wählt kann. Und wenn man nicht einverstanden ist mit der Politik der Parteien die im Bundestag sitzen, kann man auch anders wählen.
Wie ich jung war und mir hätte jemand erzählt, dass 2021 7 Parteien im deutschen Bundestag sitzen hätte ich gesagt träume weiter. Ich bin mit 4 Parteien groß geworden, dann kämen nacheinander Die Grünen, Linke und leider die AFD ins Parlament und wer weiß schon ob nicht auch noch die Freien Wähler es schaffen. Es gibt genug Möglichkeiten.

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