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Dieser Artikel stammt aus
Publik-Forum, Heft 14/2023
Der Inhalt:
Religion & Kirchen

Pro und Contra
Kein Elterngeld für Reiche?

Die Bundesregierung will gut verdienenden Paaren das Elterngeld streichen. Ist das Vorhaben gerecht oder wird so die Gleichberechtigung von Frauen konterkariert? Diskutieren Sie mit und stimmen Sie ab!
vom 18.07.2023
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Erziehungsarbeit fair verteilen: Braucht es dazu das Elterngeld? (Foto: istock by Getty / Gajus)
Erziehungsarbeit fair verteilen: Braucht es dazu das Elterngeld? (Foto: istock by Getty / Gajus)

Bernd Siggelkow: Ja!

Für Gutverdienende ist der Wegfall des Elterngeldes grundsätzlich zu verschmerzen. Mit einem Einkommen über 150 000 Euro kann man sich so einiges leisten, erst recht ein Kind. In diesen Einkommensklassen hängt die Entscheidung für ein Kind auch nicht am Geld. Betroffen von den geplanten Änderungen sind laut Schätzungen rund 60 000 Familien. Den Kindern aus diesen Familien wird es auch weiterhin an nichts fehlen. In Deutschland leben aber rund 4,5 Millionen Kinder in einkommensschwachen Familien. Sie leben in und in der Nähe von Armut. Diese Kinder sind gegenüber den Kindern der Topverdiener klar im Nachteil. Das durch die Herabsetzung der Einkommensgrenze eingesparte Geld müsste man folgerichtig in die Förderung der benachteiligten Kinder stecken, hier vor allem in die Bildung.

Dieser Artikel stammt aus Publik-Forum 14/2023 vom 21.07.2023, Seite 8
Alles nur besorgte Bürger?
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Vielleicht kann man auch einen Kompromiss eingehen. Es ist ein Unterschied, ob man ein Jahreseinkommen von 500 000 Euro hat oder wirklich knapp über der nun angedachten Obergrenze liegt. Grundsätzlich bin ich aber dafür, dass Spitzenverdiener stärker in die Verantwortung genommen werden als bisher. Aber wenn der Mann zum Beispiel ein Jahreseinkommen von 100 000 Euro hat und die Frau 55 000 Euro verdient, werden sich die Elternteile wohl darauf einigen, dass die Frau zu Hause bleibt. So würden wir in tradierte Rollenmuster zurückfallen und das wäre meiner Meinung nach auch nicht gut. Wir müssen das Elterngeld dringend anders gestalten, denn nicht einmal die Hälfte aller Väter nimmt überhaupt Elternzeit. Schon jetzt senken zahlreiche junge Frauen ihren Job vor der Geburt von Vollzeit auf Teilzeit weil es sich für sie nicht mehr lohne, voll zu arbeiten. Aber stimmt das überhaupt? In der Politik gibt es leider immer nur entweder, oder. Sind wir nicht mehr in der Lage, Kompromisse zu finden? Vielleicht könnte man das Elterngeld für Besserverdienende halbieren, statt es komplett zu streichen. Damit könnten sicher viele der von den Änderungen betroffenen Familien leben.

Ich bin gläubiger Christ und kämpfe seit 30 Jahren für ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit. Die Probleme der Besserverdienenden sind auch durch einen Wegfall des Elterngeldes bei Weitem nicht so groß wie die jener Kinder, die zu uns in die Archen kommen. Unser Land braucht starke Kinder, unabhängig davon, was ihre Eltern verdienen. Wir können es uns in Deutschland nicht leisten, auch nur auf ein Kind zu verzichten. Das sollte auch Christian Lindner begreifen. Sparen sollten wir nicht bei unseren Kindern. Denn ohne sie gibt es keine Zukunft.

Monika Arzberger: Nein!

Die angekündigten Kürzungen beim Elterngeld durch die Senkung der Einkommensgrenze sind ein fatales gesellschaftliches Signal an junge Familien. Sie treffen auf den ersten Blick sehr gut verdienende Paare, das ist unstrittig. Doch so verfehlen wir den Kern der Debatte, in der der Alltag von Familien in einer ganz besonderen Phase verhandelt wird, es aber auch um die Rahmenbedingungen einer geschlechtergerechten Umwelt geht. Im Koalitionsvertrag ist das Ziel verankert, noch in diesem Jahrzehnt die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern zu erreichen. Die angekündigte Maßnahme steht in einem krassen Widerspruch dazu.

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Elterngeld ist eine Lohnersatzleistung. Sie ermöglicht den Eltern, nach der Geburt mit dem Kind im häuslichen Umfeld zu bleiben. Dabei wird schon heute das Einkommen nicht vollständig ausgezahlt. Die aktuelle Diskussion, in der Elterngeld als Sozialleistung verstanden wird, spielt die unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten von Familien gegeneinander aus. Wer Mütter wieder von ihrem Partner abhängig macht und die Risiken im Falle des Scheiterns einer Partnerschaft auf die Frauen verlagert, wirkt der Gleichstellung entgegen. In heterosexuellen Beziehungen verdienen Männer im Durchschnitt nach wie vor mehr als Frauen. Ohne die Möglichkeit zur Elternzeit würde über eine partnerschaftliche Aufteilung der Kinderbetreuung nur in wenigen Familien diskutiert werden, würde die Logik des wirtschaftlichen Zwangs veraltete Rollenbilder verfestigen.

Aus meiner Sicht ist das Elterngeld eine etablierte, sinnvolle Maßnahme zur Unterstützung von Familien, insbesondere auch von Frauen. Ich wünsche mir eine Debatte darüber, wie wir Familien unterstützen und stärken, damit sie Kindern einen bestmöglichen Start ins Leben ermöglichen können. Dazu gehört auch, Voraussetzungen für Fairness zwischen den Elternteilen zu schaffen. Die Erhöhung des Mindestsatzes des Elterngelds, die Ausweitung der Partnermonate, die erhöhte Akzeptanz von Vätern in Elternzeit, die Unterstützung von Alleinerziehenden, der flächendeckende Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen gehören genauso diskutiert wie die Kindergrundsicherung.

Sollten wir in einer ernsthaften gesellschaftlichen Debatte zu dem Schluss kommen, dass Kürzungen bei Familienleistungen unumgänglich sind, dann sollte sie die Politik mit deutlich mehr Vorlauf beschließen. Für mich ist klar: Die Entscheidung, die Einkommensgrenze beim Elterngeld herabzusenken, schadet den Familien und der Gleichstellung. Statt Verschlechterungen bräuchte es strukturelle Verbesserungen, um Familien und die Geschlechtergerechtigkeit zu stärken.

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Personalaudioinformationstext:   Bernd Siggelkow ist Pastor und Gründer des christlichen Kinderhilfswerks »Die Arche«.

Monika Arzberger ist Vizepräsidentin des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB).
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Kein Elterngeld für Reiche?

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Jutta Holstein 20.07.2023, 15:59 Uhr:
Solange arme Familien so dermaßen sparen müssen, weil die Bundesfinanzen angeblich nicht reichen, müssen reiche Familien abgeben. Es kann einfach nicht sein, daß diskutiert und debattiert wird und geredet und Zeit geschunden wird auf Kosten der armen Familien. Gebt ihnen ein anständiges Grundeinkommen, dann ist genug Zeit zum Reden über die anderen wichtigen Maßnahmen.

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