Pro und Contra
Klimakonferenzen nur noch digital?
Alexandra Endres:
Ja, es wäre einen Versuch wert!
Um die 25 000 Menschen kamen im Dezember 2019 zum Klimagipfel in Madrid. Manche reisten per Bahn an, Greta Thunberg per Schiff. Die meisten Delegierten stiegen ins Flugzeug – gezwungenermaßen. Dabei ist Fliegen die klimaschädlichste Art der Fortbewegung. Digitale Gipfel würden viele Emissionen vermeiden. Es verursachen zwar auch andere Großevents internationalen Reiseverkehr en masse. Doch eine Fußball-WM hat sich nicht zum Ziel gesetzt, gegen die Erderwärmung vorzugehen, der UN-Klimagipfel schon. Ihn ins Digitale zu verlagern, wäre ein starkes Signal: Es ist ernst.
Gerade in der Corona-Pandemie zeigt sich, wie gut digitale Kommunikation funktioniert: viel besser, als man dachte. Konferenzen, Seminare, Absprachen sogar über mehrere Zeitzonen hinweg: Das alles läuft seit mehr als einem Jahr digital und überraschend rund. Auch für informelle Gespräche und persönliche Treffen im kleinen Kreis lassen sich virtuelle Räume einrichten. Zwischenmenschliches Vertrauen kann auch dort entstehen. Warum sollte das ausgerechnet auf Klimagipfeln nicht klappen?
Zumal der digitale Raum neue Möglichkeiten eröffnet. Ärmere Länder schicken oft nur kleine Delegationen zum Gipfel. Damit sind ausgerechnet jene, die jetzt schon am stärksten unter den Folgen der Klimakrise leiden, am Verhandlungstisch in einer schlechten Position. Fände der Gipfel digital statt, könnten sie ihre Delegationen vergrößern. Und sie könnten digitale Tools nutzen, um den anderen noch einmal drastisch vor Augen zu führen, wie angespannt die Lage bei ihnen schon ist. Es gäbe der Klimakrise eine spürbar andere Dringlichkeit, wenn beispielsweise die Delegation der Malediven sich zwei Wochen lang von erodierenden Stränden aus zu den Verhandlungen zuschalten würde. Digitale Gipfel wären anders als bisher, so viel ist klar. Aber schlechter müssen ihre Ergebnisse deshalb nicht sein.
Bernhard Pötter:
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Nein, der direkte Kontakt ist wichtig!
Der Redaktion ist es schwer zu vermitteln: Dienstreisen zu Klimakonferenzen sind kein Vergnügen. Von den touristischen Verlockungen von Cancun, Durban oder Kattowitz habe ich in den vergangenen zwölf Jahren nichts mitbekommen. COPs, wie die Konferenzen heißen, bedeuten für alle Beteiligten: ein bis zwei Wochen purer Stress mit schlechtem Schlaf, meistens schlechter Laune, oft schlechtem Essen und viel zu häufig schlechten Ergebnissen.
Trotzdem müssen die Konferenzen sobald wie möglich wieder in der realen Welt stattfinden. Denn die unmittelbare Begegnung derer, die verhandeln, ist sehr wichtig für die Dynamik im internationalen Klimaschutz. Ohne sie ginge alles noch viel langsamer, manches gar nicht. Diese Treffen haben ihren eigenen Spannungsbogen: Sie brauchen den großen Auftritt der kleinen Länder und der Umwelt- und Sozialgruppen aus aller Welt, die sonst keine Bühne haben. Sie brauchen das Drama, nach schlaflosen Nächten einen Konsens unter fast 200 Staaten zu finden. Und sie brauchen den Druck der Gastgeberländer, Projekte zu Hause voranzutreiben, um sich als Gastgeber nicht zu blamieren. Vor allem aber brauchen Regeln beim Klimaschutz gegenseitiges Vertrauen der wichtigsten Personen – vieles ist schwammig und ungefähr im Völkerrecht. Wer da seine Gegenüber nicht gut kennt und sich in sie einfühlen kann, kommt nicht voran. Sicherlich könnten viele Neben-Events der Konferenzen ins Netz wandern. Delegationen sollten überlegen, wer wie dorthin reist. Auf jeden Fall sollten auch Delegationen aus armen Staaten die Chance auf Corona-Impfungen und Zugang zu den COPs haben. Aber das Wichtigste an den Klimakonferenzen sind gute Ergebnisse, nicht die Frage nach den Spesen. Wer die Flugmeilen reduzieren will, sollte woanders anfangen: Jede beliebige Fußball-WM verursacht mehr Emissionen als eine überlebenswichtige COP.
Alexandra Endres, 47, berichtet seit elf Jahren für »Zeit Online« von Klimagipfeln und ist jedes Mal enttäuscht vom Ergebnis.
Bernhard Pötter, 55, schreibt seit 15 Jahren über Klimathemen für die Berliner »tageszeitung« und kommt von jeder Klimakonferenz erschöpft nach Hause.
Ralf Mützel 20.06.2021, 12:56 Uhr:
Ich bin in der kommunalen Entwicklungszusammenarbeit tätig und weiß wie wichtig und förderlich es ist, sich mit den Partnern persönlich auszutauschen. Selbstverständlich ist es weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll, alles nur in direktem Kontakt abzuwickeln. Videokonferenzen gehören hier zum beruflichen Alltag. Natürlich sehe ich den Konflikt und auch das scheinbare Paradoxon darin, wenn ich von Zeit zu Zeit ins Flugzeug steige, um Nachhaltigkeitsprojekte vor Ort zu besprechen. Man sollte diese Art des Austausches sicherlich gut überlegen und nur sehr dezent einsetzen. Aber diejenigen zu kritisieren, die mit Menschen anderer Länder Prozesse für Nachhaltigkeit anschieben, ärgert mich. Denn wenn Millionen um den Erdball fliegen, um Geschäfte zu machen, hört man kaum Kritik, weil es einfach dazu gehört. Noch ein Wort zum Fußball: Als die Nationalmannschaft kürzlich in Nürnberg gelandet ist, wurde nicht ansatzweise hinterfragt, ob dieser Inlandsflug notwendig war.
Gerhard 11.06.2021, 10:20 Uhr:
Wenn es IT-Firmen schon Jahre vor der COVID-Pandemie gelungen ist, Projekte mit weltweit verteilten Teams durchzuführen, wieso sollte es beim Klima unmöglich sein? Selbst über Telefonkonferenzen und Mails lässt sich Vertrauen aufbauen.
Michaela Steffens 10.06.2021, 12:11 Uhr:
Bei Mindestlohn würden die Mitarbeiter viel Schlechter da stehen.
Basis Geld wäre die bessere alternative.