Pro und Contra
Olympia 2036 in Berlin?
Rikola-Gunnar Lüttgenau: Ja!
Die XI. Olympischen Sommerspiele hätten 1936 nicht in Berlin stattfinden dürfen. Aus heutiger Sicht wäre es vom IOC die richtige Entscheidung gewesen, sie den Nationalsozialisten wieder zu entziehen. Damit die Nazis Olympia für ihre Politik nicht instrumentalisieren können, in ihrem Schatten den Krieg nicht weiter vorbereiten und Menschen noch besser ausgrenzen und verfolgen können.
Es ist klar, dass sich eine Bewerbung Berlins just für das Jahr 2036 vor diesen Nazi-Spielen nicht wegducken kann. Sie muss die damit verbundenen negativen Implikationen sozusagen bei den Hörnern packen. Und wenn das geschehen würde, dann könnte eine Bewerbung in der Tat interessant werden. Mit ein, zwei historischen Ausstellungen im Begleitprogramm, die auf die 100 Jahre zurückblicken, wird es nicht getan sein. Diversität, Inklusion und Menschenrechte dürften dann nicht nur Marketing-Schlagwörter sein. Sie müssten zutiefst gelebt werden.
Sport kann ein wunderbares Mittel sein, Menschen zusammenzubringen. Zugleich deuten die Regeln des Fair-Plays an, dass es universaler Rechte und Pflichten bedarf, in deren Schutz sich Menschen frei und friedlich begegnen können. Das gilt nicht nur für große Sportevents. Im Alltag müsste eigentlich jeder noch so kleine Sportverein ein Lernort der Demokratie sein, in dem diese zivilisatorischen Standards eingeübt und mit Leben erfüllt werden.
Wir wissen, dass dem allzu oft nicht so ist. Diversität, Inklusion und selbst die Universalität der Menschenrechte wird von Rechtsextremen wieder – und zwar zunehmend erfolgreich – infrage gestellt. In der AfD gelten die Menschenrechte als etwas, das es zu bekämpfen gilt. Hier könnte eine Bewerbung für 2036 – gerade weil der Schatten von 1936 so groß ist – ein guter Weg sein, die Lehren, die die Weltgemeinschaft aus den NS-Verbrechen gezogen hat, nämlich die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, erneut und nachhaltig mit Leben zu füllen.
Eine Bewerbung in diesem Geiste, die die negativen Implikationen der Spiele von 1936 sozusagen durchbuchstabiert und für die Zukunft wendet, wäre die Grundlage – und hätte auch das Potenzial – dafür, Menschen für den viel zitierten »olympischen Geist«, der in der Vergangenheit so häufig mit Füßen getreten wurde, zu begeistern.
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Jedoch: Sollten sich die Werte und Ziele einer derartigen Bewerbung, die gezielt gegen den Geist der Nazi-Spiele von 1936 agiert, nicht verwirklichen lassen – etwa weil eine AfD weiter erfolgreich und sogar an einer deutschen Regierung beteiligt ist –, dann müsste eine Bewerbung sofort wieder zurückgezogen werden.
Jens Weinreich: Nein!
Berlin sollte sich nicht für die Olympischen Spiele 2036 bewerben. Die Spiele werden ohnehin entweder in Indien oder am Persischen Golf in arabischen Sport-Schurkenstaaten stattfinden. Diese Signale verfestigten sich während der 141. Vollversammlung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Mumbai. Das IOC hat als Monopolist der Spiele keinerlei öffentlich nachvollziehbare Regeln für die Vergabe dieses Mega-Events. Die Entscheidungen über diese Milliardenprojekte fallen in kleinen Zirkeln hinter verschlossenen Türen. Eine Demokratie wie Deutschland tut gut daran, sich diesen unseriösen bis korrupten Machenschaften zu verweigern, anstatt – wie es aktuell geschieht – auf politischer Ebene insgeheim über Milliardensummen aus Steuermitteln zu verhandeln, die man für die Austragung der Spiele benötigte.
Deutschlands Bürger interessieren sich auch gar nicht für eine Olympiabewerbung. Ein paar Dutzend Menschen hatten sich unlängst nach Leipzig verirrt, wo der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) ein erstes, von Halbwahrheiten, Propaganda und Falschaussagen geprägtes sogenanntes Dialogforum organisierte. Die hausgemachten Pleiten und Skandale der vergangenen vier Jahrzehnte mit sieben gescheiterten Olympiabewerbungen wurden nie aufgearbeitet. Keiner der Verantwortlichen wurde für die Vergeudung von Steuermitteln zur Rechenschaft gezogen.
Hinzu kommt die historische Problematik. Die Winterspiele 1936 in Garmisch-Partenkirchen und die Sommerspiele 1936 in Berlin waren Nazi Olympics. Verachtenswerte Propaganda-Spiele, ausgerichtet und finanziert von Massenmördern. Damit tut sich das Sportsystem bis heute schwer. Fast ein Jahrhundert später wirkt die Propaganda noch immer. Nach dem Motto: »Es war doch nicht alles schlecht, das Olympiastadion ist ein grandioses architektonisches Denkmal und die Flakscheinwerfer über dem Stadion auch.« Früher waren es Flakscheinwerfer, heute sind es Drohnen, die bei Olympia-Feierlichkeiten Lichtbilder in den Nachthimmel zaubern. Und das IOC wirbt unverdrossen mit Riefenstahl-Bildern für eine vermeintliche olympische Idee, die mit 1936 verbunden sein soll. Das ist erbärmlich. Standardwerke zu den Nazi Olympics wurden von Historikern vor rund einem halben Jahrhundert geschrieben. An nahezu jedem Wortbeitrag zum Thema »Olympia 2036« ist aber ein eklatanter Mangel an Basiswissen erkennbar. So wie dieselben Diskutanten kaum Kenntnisse von den aktuellen Vorgängen im IOC haben. Es geht allein um eine olympische Ideologie. Die Spiele 2036 zum hundertsten Jubiläum der Nazi Olympics braucht kein Mensch.
Rikola-Gunnar Lüttgenau ist Historiker und stellvertretender Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.
Jens Weinreich ist Herausgeber des Magazins »Sport & Politics«. Er hat 13 Olympische Spiele begleitet.
Kohwagner 29.10.2023, 12:26 Uhr:
Olympische Spiele dienen nur dem Kommerz, die Kosten trägt der Steuerzahler. Eine echte Aufarbeitung der Spiele von 36 wird nicht stattfinden.
Christiane Bastert 23.10.2023, 06:25 Uhr:
Gründe für Berlin als Chance der Vergangenheitsbewältigung sind bestechend klar, durchsetzungsfähig sind sie nicht.
1. Der Versuch würde von primitivem rechtem Populismus überschattet/ gekapert.
2. Der Versuch befriedigt deutsche Bedürfnisse nach Vergangenheitsbewältigung. An die Bedürfnisse teilnehmender Polen z.B. denkt er nicht. Wie soll sich ein deutscher, polnischer,französischer...Jude beim Einmarsch Berlin 2036 fühlen?
Oder 2072 in München?
Also "Berlin 2036" nein, trotz intellektueller Anziehungskraft.
Georg Lechner 19.10.2023, 18:03 Uhr:
Großereignisse wie Olympische Spiele oder Weltmeisterschaften sind schon derart kommerziell degeneriert, dass es ein Graus ist.