Pro und Contra
Soll die Krankenkasse Diät-Spritzen bezahlen?
Katharina Meyer zu Eppendorf: Ja!
Ich war 14, als ich meine erste Diät machte. Für meine Konfirmation wollte ich in eine kleinere Hosengröße passen. Ich schaffte es nicht – und probierte in den darauffolgenden Jahren nahezu jede Methode: Ich zählte Kalorien, verzichtete auf Kohlenhydrate, fastete, zwang mich zu mehr Sport, lief sogar zwei Halbmarathons. Doch egal, was ich tat, jeder Versuch abzunehmen endete in einem Krieg gegen meinen eigenen Körper, den er am Ende immer gewann.
Heute gibt es ein Wort für das Gefühl, das mich mein halbes Leben begleitete: »Food Noise«. Damit ist der unaufhörliche Gedanke an Essen gemeint, der am Ende immer dafür sorgte, dass ich zu viel aß. Wie einen Ohrwurm, so beschreibe ich meiner Umwelt die Food Noise. Wenn man sie loswird, ist es befreiend.
Mir gelang das vor zwei Jahren mithilfe des Wirkstoffs Semaglutid. Er steckt in den Handelsmarken der Medikamente Ozempic und Wegovy und sorgt – vereinfacht gesagt – dafür, dass Magen und Gehirn sich länger satt fühlen. Die Folge: kleinere Portionen, weniger Kalorien, Gewichtsverlust. Ich verlor so in einem Jahr 22 Kilogramm, die ich bis heute halte. Dabei fühle ich mich so gesund wie nie. Und wenn ich in den Spiegel schaue, fühle ich mich wohl. Zudem habe ich meine Ruhe vor negativen Kommentaren.
Interessanterweise sind es dieselben Menschen, die mich oder andere, die mit der Abnehmspritze abgenommen haben, jetzt genau dafür abwerten. Das sei ja der einfache Weg gewesen. Wenn es so einfach gewesen wäre, hätte ich es dann nicht längst getan? Niemand sucht es sich doch aus, ein Leben in einer Gesellschaft zu führen, die dicke Menschen abwertet, ihnen weniger Chancen gibt.
Eine monatliche Dosis von Ozempic kostet derzeit 72 Euro, bei Wegovy und Mounjaro (auch eine Abnehmspritze) sind es rund 300. Ich kann mir das leisten, aber viele Menschen nicht. Adipositas ist keine Folge von mangelnder Willenskraft und damit ein Lifestyleproblem. Sie ist eine Volkskrankheit, unter der mehr als 53 Prozent der Deutschen leiden und die unser Gesundheitssystem 63 Milliarden Euro im Jahr kostet. Dabei zeigen Studien: Schon eine Reduktion des Körpergewichts um 10 bis 15 Prozent senkt das Risiko für zahlreiche Folgeerkrankungen. Mir ist klar: Bis die Gesellschaft akzeptiert, dass Übergewicht eine chronische Krankheit ist, wird es dauern. Aber die Kostenübernahme der Abnehmspritzen könnte nicht nur dabei helfen, diesen Wandel zu beschleunigen und Millionen Menschen ein gesünderes, würdevolleres Leben ermöglichen. Sie würde uns auch noch Geld sparen, dass wir für andere Dinge ausgeben können.
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Paula Piechotta: Nein!
Medizinische Forschung leistet Großartiges – sie bringt immer wieder neue Therapien hervor, die das Leben von Menschen verbessern können. Adipositas ist mehr als nur ein Gewichtsproblem – sie ist eine ernsthafte chronische Erkrankung, die oft mit anderen gesundheitlichen Belastungen wie Diabetes und Bluthochdruck, aber auch gesellschaftlichen Stigmata, unter welchen Betroffene leiden, einhergeht. Dass die Wissenschaft Fortschritte macht und neue Therapieoptionen entwickelt, gibt vielen Betroffenen Hoffnung. Die sogenannten Abnehmspritzen sind ein Beispiel für diese Innovationen, welche ursprünglich für Menschen mit Typ-2-Diabetes entwickelt wurden, um in Kombination mit Ernährungsumstellung und Bewegung zu helfen, Gewicht zu reduzieren.
Doch nicht jedes neue Medikament ist automatisch eine Lösung für alle. Gerade bei den Abnehmspritzen gibt es noch viele offene Fragen. Langfristige Studien fehlen bislang, und es ist nicht ausreichend belegt, dass der Gewichtsverlust dauerhaft bleibt. Was aber schon bekannt ist: Viele Menschen haben mit Nebenwirkungen wie Übelkeit und Schwindel zu kämpfen. Und nach dem Absetzen nehmen viele wieder zu. Das zeigt, dass es für eine langfristige Behandlung noch mehr wissenschaftliche Erkenntnisse braucht.
Deshalb sind diese Medikamente aktuell auch nicht fester Bestandteil der medizinischen Leitlinien zur Behandlung von Adipositas. Stattdessen setzen Fachleute auf bewährte Ansätze wie Ernährungsberatung, Bewegungstherapie bis hin zu chirurgischen Eingriffen. Diese Therapien sind etabliert, wissenschaftlich untersucht und bieten Betroffenen einen klaren Behandlungsweg.
Neben der medizinischen Unsicherheit gibt es auch finanzielle Risiken: Würde die Krankenkasse Abnehmspritzen erstatten, könnten sich die Arzneimittelausgaben nahezu verdoppeln. Schon heute stehen die Krankenkassen unter enormem Kostendruck, und steigende Ausgaben würden langfristig alle Versicherten belasten. Unser Gesundheitssystem muss solidarisch bleiben – das bedeutet, dass Mittel in nachhaltige, wissenschaftlich belegte Therapien fließen müssen.
Jedoch: Wenn sich in Zukunft zeigt, dass Abnehmspritzen nachhaltig helfen, langfristig sicher sind und in die medizinischen Leitlinien aufgenommen werden, dann kann eine Erstattung durch die Krankenkasse diskutiert werden. Denn klar ist: Wer mit Adipositas lebt, verdient eine wirksame und bezahlbare Therapie. Unser Ziel muss es sein, dass Innovationen nicht nur kurzfristige Erfolge bringen, sondern langfristig die Lebensqualität verbessern – solidarisch und verantwortungsvoll für alle.
Katharina Meyer zu Eppendorf ist Redakteurin bei »Zeit Campus«.
Paula Piechotta ist Berichterstatterin für Arzneimittel der Grünen Bundestagsfraktion.