Pro und Contra
Soll es einen neuen Lastenausgleich geben?
Frank Wernecke:
Ja, Reichtum verpflichtet!
Deutschland erlebt derzeit die heftigste Inflation seit Anfang der 1950er-Jahre. Für viele Menschen wird sie jetzt existenzbedrohend, für viele Unternehmen, Sozial- und Kultureinrichtungen auch. Der Staat muss sie mehr als bisher finanziell unterstützen. Dafür werden enorme Summen benötigt. Gleichzeitig muss der Ausbau der erneuerbaren Energien und notwendiger Infrastrukturen beschleunigt werden, um fossile Abhängigkeiten abzubauen, die Klimaziele zu erreichen und die Versorgungssicherheit zu verbessern. Das erfordert milliardenschwere staatliche Investitionen. Während Letztere sinnvollerweise über Kredite zu finanzieren sind, gilt dies nicht für laufende Personal- und Sozialausgaben. Diese sollten über Steuern und Abgaben gegenfinanziert werden. Dabei muss es gerechter zugehen. Denn in dieser Krise verlieren nicht alle: Öl- oder Rüstungskonzerne verzeichnen sogar massive Extraprofite. Und es ist längst an der Zeit, dass sich auch Vermögende und Bezieher hoher Einkommen angemessen an der Finanzierung des Gemeinwohls beteiligen und in der aktuellen Situation zur Bewältigung der Kosten der Krise in die Verantwortung genommen werden.
Angesichts der historischen Herausforderungen ist die Einführung einer einmaligen Vermögensabgabe im Sinne eines Lastenausgleichs für Reiche und Superreiche angebracht. Das Vermögen in Deutschland ist extrem konzentriert: Das reichste Zehntel besitzt fast zwei Drittel, das reichste 0,1 Prozent ganze 16 Prozent des Nettovermögens von über 13 Billionen Euro. Hohe Freibeträge und ein progressiver Tarif würden dafür sorgen, dass die Superreichen 90 Prozent der Abgabenlast tragen. Verteilt auf 20 Jahre, könnte dies jährliche Mehreinnahmen von 23 Milliarden Euro einbringen. Wir müssen jetzt den privaten Reichtum in die Pflicht nehmen, um die Aufgaben unserer Zeit zu bewältigen.
Kai Konrad:
Publik-Forum EDITION
»Das Ende des billigen Wohlstands«
Wege zu einer Wirtschaft, die nicht zerstört.»Hinter diesem Buch steckt mein Traum von einer Wirtschaft, die ohne Zerstörung auskommt. / mehr
Nein, die Folgen wären verheerend!
Wie sah es aus in Deutschland kurz nach 1950? Einige hatten Glück: der Krieg hatte ihren Betrieb, ihr Land oder ihr Mietshaus verschont. Aber jeder Sechste war kriegsvertrieben, viele hatten alles verloren, waren mittellos in ein stark zerstörtes Land gekommen. Die Wohnungsnot war groß. Über 20 Prozent des Wohnraums waren zerstört. Für schätzungsweise ein Drittel der Arbeitskräfte gab es keinen Arbeitsplatz. Geld konnte sich der Staat nicht leihen. Er war vom internationalen Kreditmarkt abgeschnitten. An der Einkommensteuerschraube konnte man nicht weiter drehen, der maximale Grenzsteuersatz lag bereits bei 95 Prozent.
In dieser Extremsituation war das Lastenausgleichsgesetz der Griff zum Äußersten. Dies ist nicht die Welt von heute. Mietshäuser und Fabriken sind unversehrt. Der maximale Grenzsteuersatz für Einkommen liegt bei um die 45 Prozent. Der Staat kann sich zu guten Konditionen Geld leihen. Statt Arbeitslosigkeit herrscht Arbeitskräftemangel. Trotzdem gibt es Stimmen, die nach Enteignung rufen und auf die einmalige Schwere der Krise verweisen, und zwar in immer kürzeren Intervallen: zur Finanzkrise 2007, der Eurokrise ab 2010, der Geflüchteten- und Corona-Krise, nun zum Krieg in der Ukraine. Hätte man jeweils diesen Rufen nach Enteignung durch Lastenausgleich nachgegeben, wäre sie zur Normalität mutiert. Manch einer mag das für eine gute Idee halten, aber die Folgen wären drastisch. Langfristig kann eine Nation nicht von Umverteilung leben. Eigentumsgarantien sind das Fundament jeder wirtschaftlichen Anstrengung. Wie einst in der DDR würden ohne solche Garantien die wirtschaftlich Starken die Flucht ergreifen. Sollte man dann eine Mauer um Deutschland ziehen? Dass dies keine befriedigende Lösung ist, hat die Geschichte schon einmal unter Beweis gestellt.
Frank Wernecke ist Vorsitzender der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi.
Kai Konrad ist Direktor am Münchner Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen.
elisabeth lenzen 28.10.2022, 17:30 Uhr:
Hallo,
eine Neuauflage eines Lastenausgleiches wird der komplexen Situation meines ERachtens nicht gerecht: Steurliche Vorteile, Schlupflöcher,
Gelder die nicht den Betroffenen zugute kommen, alle als mitverursacher von den Krisen besonders die Untätigkeit und Schönwäscherei sogenannte Maßnahmen uvam. sind ja bekannte Probleme.
Daher muss das Ganze viel globaler und auch die komplexität betrachtet werden.
Doris Rüb 26.10.2022, 14:23 Uhr:
In Artikel 14 des Grundgesetzes Stehtes doch schon: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen."
Wer sein Geld insAusland "fliehen" lässt" sollte mit Sanktionen rechnen müssen. Zum Beispiel mit einer entsprechend hohen Steuer auf das "in Sicherheit gebrachte" Geld. Schließlich ist es alles andere als sozial, wenn jemand in Deutschland lebt, die gute Infastruktur genießt, sich aber davordrückt, seinen (letzlich kleinen) Anteil daran zu übernehmen. Der Höchststeuersatz in Deutschland ist doch wirklich niedrig.
Dr. Barbara Preiss-Leger 23.10.2022, 16:59 Uhr:
Eine Übergewinnsteuer wäre das bessere Instrument.