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Dieser Artikel stammt aus
Publik-Forum, Heft 20/2024
Der Inhalt:
Leben & Kultur

Pro und Contra
Soll Sexkauf verboten werden?

Besonders die Union macht sich in Deutschland für das sogenannte Nordische Modell stark. Danach werden Freier bestraft. Hilft das den Prostituierten?
vom 22.10.2024
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Deutschland - das Bordell Europas? Schätzungsweise 400 000 Prostituierte arbeiten in der Bundesrepublik (Foto: Shutterstock/M-Production)
Deutschland - das Bordell Europas? Schätzungsweise 400 000 Prostituierte arbeiten in der Bundesrepublik (Foto: Shutterstock/M-Production)

Maria Decker: Ja!

(Foto: Privat)Die Lebensverhältnisse in der Prostitution sind prekär. Solwodi ist jährlich mit 500 bis 700 in der Prostitution tätigen Frauen in Kontakt. Sie sind hohen gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt und leiden unter Depressionen, Panikattacken und Traumata. Kaum eine der Frauen hat eine Krankenversicherung. Fast alle erleben Gewalt im Kontext der Prostitutionsausübung. Viele sind Migrantinnen, die ihre Rechte weder kennen noch durchsetzen können. Prostitution ist durch vielerlei Zwänge geprägt, auch ökonomische, wenn die Frauen Geld verdienen müssen, aber aufgrund mangelnder (Aus-)Bildung keine Alternativen sehen. Emotional üben Loverboys oder sogar die Familie Druck aus. Ausbeutung und Menschenhandel sind meist mit physischer Gewalt verbunden. Körperliche Abhängigkeiten spielen eine Rolle in der Beschaffungsprostitution. Von Freiwilligkeit lässt sich also kaum sprechen.

Dieser Artikel stammt aus Publik-Forum 20/2024 vom 25.10.2024, Seite 8
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Ein Sexkaufverbot würde, das zeigen 25 Jahre Erfahrung aus Schweden, die Nachfrage reduzieren. Es muss gekoppelt werden mit flächendeckenden Ausstiegsprogrammen, um den Frauen eine echte Alternative zu bieten.

Würde die Prostitution dann in den Untergrund verschwinden? Dort ist sie bereits! Nur 10 bis 15 Prozent aller in der Prostitution tätigen Personen sind gesetzlich angemeldet. Zudem verlagert sich Prostitution zunehmend in anonyme Wohnungen mit Anbahnung über das Internet. Aber: die Freier müssen die Frauen finden, dann können Polizei und Sozialarbeiterinnen das auch. Mit einem Sexkaufverbot hätte es die Polizei jedoch leichter, Wohnungen aufzusuchen und so Menschenhandelsfälle aufzudecken, da ein Anfangsverdacht auf eine Straftat, nämlich der Sexkauf, bestünde. Ebenso widerlegen die Erkenntnisse aus Schweden das Argument, dass ein Sexkaufverbot die Gewalt gegen die Frauen in der Prostitution begünstige. Gewalt und Femizide sind dort im Gegensatz zu Deutschland zurückgegangen.

Prostitution beruht auf patriarchalen Denkmustern, nach denen der Körper einer Frau dem Mann zur Verfügung steht, wenn er nur genügend dafür bezahlt. Sie hat damit nicht nur negative Auswirkungen für die betroffene Frau, sondern auch auf die Gesellschaft, indem sie ein anachronistisches Geschlechterbild zementiert.

Deutschland hat heute schon Gesetze, die Menschenhandel und Ausbeutung in der Prostitution verbieten. Aber sie sind in der Praxis nicht anwendbar, und es gibt kaum Verurteilungen. Das wird sich kaum ändern, solange im Gesetz das Bild der völlig freiwillig agierenden Prostituierten dominiert. Deutschland braucht ein Umdenken in der Prostitutionspolitik. Ein Sexkaufverbot wäre ein guter Anfang.

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Pallas Athene: Nein!

(Foto: Privat)Das Sexkaufverbot versucht, eine simple Lösung für ein komplexes Thema zu finden. Ziel des Verbots ist es, einen Bewusstseinswandel in der Bevölkerung herbeizuführen: Prostitution soll als Menschenrechtsverletzung wahrgenommen werden. Doch die Menschen, die man vor Ausbeutung und Menschenhandel schützen möchte, leiden unter diesem Ansatz.

In Frankreich gilt das Verbot seit 2016. Illegale Bordelle von Zuhälterorganisationen haben seitdem stark zugenommen. Laut der dortigen Polizei wurde diese Entwicklung durch das Verbot begünstigt. Zum Vergleich: In Deutschland unterliegen Prostitutionsstätten strengen Auflagen und werden regelmäßig kontrolliert. Tatsächlich haben nur wenige der Prostituierten in Frankreich den Beruf gewechselt; die Mehrheit hat ihre Tätigkeit ins Internet verlegt oder arbeitet in Hinterzimmern weiter. Dadurch findet Prostitution nicht mehr öffentlich statt und ist wesentlich schwieriger zu kontrollieren – was von vielen Zuhältern ausgenutzt wird. Die Covid-19-Pandemie hat hierzulande gezeigt, welche Auswirkungen ein Sexkaufverbot auf Sexarbeitende haben könnte: Isolation, Anstieg von Gewalt und erhöhte Gesundheitsrisiken. Studien zeigen deutlich, dass die Nachfrage durch ein Verbot nicht verschwindet – stattdessen gehen die erkämpften Arbeitsbedingungen und der Schutz für Sexarbeitende verloren.

Darüber hinaus führt die Kriminalisierung der Sexkäufer zu einem de facto Berufsverbot für Sexarbeitende. Dies ist eine Einschränkung der Autonomie von Personen, die sich freiwillig für die Sexarbeit entscheiden. Oft wird behauptet, der Großteil der Sexarbeitenden sei in unfreiwillige Armuts- und Elendsprostitution verwickelt. Doch die in diesem Zusammenhang genannten Zahlen beruhen auf Spekulation und Schätzungen. Belastbare Statistiken existieren bislang nicht.

Zudem würde eine Kriminalisierung die bereits vorhandene Stigmatisierung in diesem Berufszweig weiter verstärken. Dies könnte die bestehenden Missstände noch verschärfen und die Hemmschwelle, Unterstützung in Anspruch zu nehmen, zusätzlich erhöhen.

Verbote, die darauf abzielen, Prostitution zu bekämpfen, treiben oft die vulnerable Gruppe, die sie schützen sollen, noch weiter in die Isolation und Gefährdung. Um wirksame Lösungen zu finden, bedarf es einer differenzierteren Betrachtung des Themas, die die Bedürfnisse und Rechte der Sexarbeitenden in den Mittelpunkt rückt. Es ist an der Zeit, einen offenen Dialog zu führen, der alle Perspektiven einschließt, und gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Schutz und die Würde von Sexarbeitenden gewährleisten.

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Personalaudioinformationstext:   Maria Decker ist Vorstandsvorsitzende von Solwodi, Solidarität mit Frauen in Not.

Pallas Athene ist ein Pseudonym. Sie ist Sexarbeitende in Frankfurt und aktiv im Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen.
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