Buchtipp
Die Stadt, hinter deren Mauern das wahre Ich zu Hause ist
Roman. Die Idee zu seinem neuen Roman hatte Haruki Murakami schon vor mehr als 40 Jahren. Nun ist das Buch zu seinem 75. Geburtstag auf Deutsch erschienen. Darin verliebt sich der 17-jährige Erzähler in eine Mitschülerin. Am Rande Tokios laufen sie am Fluss entlang, reden, schreiben einander lange Briefe. Das Mädchen erzählt von einer unbekannten Stadt ohne Zeit, mit einer Mauer, durch die nur Menschen ohne Schatten treten können – und Einhörner. In der unbekannten Stadt lebe ihr wahres Ich, erzählt das Mädchen, »hier« sei nur ihr Schatten. Melancholisch und zärtlich beschreibt Murakami die erste Liebe, die eine fantastische Welt hervorbringt. In vielen Schichten sind fantastische und reale Schauplätze verwoben – typisch für Murakami, der überzeugt ist, dass seine Geschichten von »der anderen Seite« kommen.
Das Mädchen verschwindet, aber sie und die geheimnisvolle Stadt lassen den Erzähler nie los. Als er sie eines Tages hinter der Mauer findet, erinnert sie sich nicht an ihn. 30 Jahre später arbeitet er in einem kleinen Dorf als Bibliothekar. Dort tauchen die wohl spannendsten Wendungen und Charaktere der Geschichte auf – zum Beispiel ein autistischer Junge, der die Stadt mit der Mauer zu kennen scheint.
Beim Lesen ist nicht immer klar, auf welcher Seite der Mauer wir uns gerade befinden. So stellt man sich bald metaphysische Fragen nach der Wirklichkeit oder dem »wahren Ich«. Und genießt Murakamis unvergleichlichen Stil, die wiederkehrenden surrealistischen und mystischen Elemente, seine leichte, klare Prosa, die Traum und Realität verwirbelt.
Haruki Murakami: Die Stadt und
ihre ungewisse Mauer. Übersetzt von Ursula Gräfe.
Dumont. 640 Seiten. 34 €