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Ein poetisch-spirituelles Lesebuch

von Hildegard Becker vom 05.05.2000
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Annemarie Schimmel
Gesang und Ekstase
Sufi-Texte des indischen Islam. Kösel. 214 Seiten. 39,90 DM

Wer der mystischen Seite von Religion zuneigt und dazu noch Interesse für die Vielfalt im Islam aufbringt, findet in diesem poetisch-spirituellen Lesebuch reichhaltige Kost. Es kann durchaus auch den Nichtkundigen des mystischen Islam ansprechen. Die einführenden Worte der Autorin bieten dem Leser die Möglichkeit, sich auf die ansprechend übersetzten Texte indischer Mystiker vorzubereiten und sie einzuordnen in die verschiedenen Ausprägungen der islamischen Mystik, des Sufismus. Das Buch ist nicht neu; es handelt sich um eine Neubearbeitung des Titels »Die Liebe zu dem Einen« aus dem Jahr 1986. Es reiht sich ein in die zahlreichen Veröffentlichungen der Orientalistin, die seit 1995, als sie den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhielt, auch über Fachkreise hinaus bekannt wurde. Das Buch führt ein in eine weitgehend fremde Welt von muslimischen Sufis auf dem asiatischen Kontinent, die sich bemühten, auf dem Pfad der Gottesschau zu schreiten und entrückt zu werden, mit dem Ziel, das Licht des erhabenen Gottes ohne den Schleier des Geistes und des Herzens zu erfahren. Der Sufi beschreitet einen Weg, der wegführt von der Gier des Menschen nach der Befriedigung seiner Bedürfnisse. Das Buch weist hin auf die ungestillte Sehnsucht vieler Menschen nach Glückseligkeit, nach liebender Vereinigung zwischen Gott und der Seele, um die in Gott ruhende Harmonie zu finden. In gewisser Weise ist Mystik als religiöse Grenzüberschreitung zu verstehen, in der der Mystiker in der Spannung steht zwischen der institutionalisierten und dogmatisierten Religion und der persönlichen Erfahrung mit dem Absoluten, jenseits von Denken und Wissen. Das macht die Mystiker den Dogmatikern jeder Religion suspekt. Doch kann Mystik durch ihre betonte Bindung zum Geist der Religion vielleicht auch unseren Geist davor bewahren, zu stagnieren und abzusterben. Auffallend ist, dass sich die Plädoyers für Mystik in den Kirchen mehren.

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