Filmtipp »Das leere Grab«
Der Schmerz der Urenkel
Kino. Erst in den vergangenen Jahren gerieten die Verbrechen der deutschen Kolonialarmee in Afrika stärker in den Fokus der Öffentlichkeit. Unter anderem bezeugen Zehntausende Schädel in Museen, Depots und Privatsammlungen die Opfer dieser kolonialistischen Landnahme. Im Auftrag von Wissenschaftlern des Kaiserreichs wurden sie nach Deutschland geschafft.
In diesem verdienstvollen Dokumentarfilm wird Kolonialgeschichte handfest aus der Perspektive der Urenkel der Ermordeten veranschaulicht: Zwei tansanische Familien gehen auf die Suche nach den Gebeinen ihrer Vorfahren, die während des Maji-Maji-Aufstandes umgebracht wurden. Im Zentrum steht Josef Mdano, dessen Familie seit 115 Jahren das niemals endende Begräbnis von Urgroßvater Songea begeht – denn seine Seele, so der Glaube Mdanos, findet keine Ruhe. Er wurde von der deutschen Kolonialarmee hingerichtet, sein Grab geschändet, der Kopf gestohlen und zu rassistischen Forschungszwecken in eine Berliner Sammlung verbracht.
Die Spurensuche der Mdanos und auch der Familie Kaaya nach den Überresten ihrer Ahnen entwickelt sich zu einem vielschichtigen Panorama deutsch-tansanischer Beziehungen. Unterstützt von einem deutsch-tansanischen Aktivisten sowie Berliner Studenten reisen Josef Mdano und seine Frau Cecilia nach Berlin, um selbst Nachforschungen zu betreiben. Dabei kommen auch die Bemühungen zur Sprache, in Berlin Straßen umzubenennen, die Namen von Kolonialtätern tragen. Neben feierlichen Absichtserklärungen von Staatsministerin Katja Keul weckt zudem ein Staatsbesuch von Präsident Steinmeier in Tansania Hoffnung. Der emotionale Höhepunkt dieses Films ist aber eine Ausstellung in der Afrika-Abteilung des Humboldt-Forums, bei der das Ehepaar Relikte seiner Kultur entdeckt – und seine Erschütterung nicht verbergen kann.
? Das leere Grab (Tansania/D 2023). Film von Cece Mlay, Agnes Lisa Wegner, 97 Min. Ab 12 J.