Buchbesprechungen
Dieter Funke
Das Ungewisse und der innere Raum
Psychosozial. 174 Seiten. 22,90 €
In dieser religionspsychologischen Studie fragt der Psychotherapeut und Theologe Dieter Funke, wie Menschen angesichts großer Ungewissheit (Pandemien, Krankheiten, Schicksalsschläge, Tod) ihren »inneren Schutzraum« ausbilden können. Sein Anliegen ist es, psychoanalytische Erkenntnisse mit einer spirituell-transpersonalen Perspektive zu ergänzen – in der Psychotherapie wie im eigenen Leben. So wird die Stärkung des Ichs in einer konflikthaften Welt ergänzt durch eine spirituell-religiöse Sicht, die über das Ich hinausführt: Es geht um das Loslassen des Ichs in ein »größeres Ganzes«, vor dem der Tod nicht mehr als bedrohlich fremd und vom Menschen getrennt gesehen wird, sondern als integrierter und integrierender Teil des Menschseins. Der Autor erweist sich als anregender systematischer Denker, der weiß, dass alle Konzepte, auch sein eigenes »Modell«, nur »Konstruktionen« sind. Letztlich zähle die Erfahrung, aus der sich die Konzepte speisen. Ein informatives und lebenspraktisch hilfreiches Buch. Hartmut Meesmann
Urs Niggli
Alle satt?
Residenz. 158 Seiten. 19 €
Alle satt? Bei Weitem nicht. Der Hunger in der Welt hat viele Ursachen. Was kann die ökologische Landwirtschaft zu seiner Überwindung beitragen? Was muss sie beitragen, um Klimawandel und den Verlust von Vielfalt und Boden zu stoppen? Heiß diskutierte Fragen. Den Agrarwissenschaftler Urs Niggli haben sie Jahrzehnte beschäftigt. Der langjährige Leiter des Forschungsinstituts für biologischen Landbau in der Schweiz hat die Entwicklung der biologischen Landwirtschaft stetig vorangetrieben. Sein Resümee aus Forschung und viel Erfahrung ist ein Plädoyer für nachhaltiges Wirtschaften. Kritisch zeigt er auf die Folgen der gängigen industriellen Landwirtschaft wie auch auf unsere Essgewohnheiten. Wie können sich kleine Betriebe organisieren, um gegen die Großen zu bestehen? Was, wenn weder Suffizienz noch Effizienz ausreichen? Der überzeugte Agrarökologe meint indes nicht, dass es ganz ohne Hightech gehen wird. Yvonne Mabille
Jürgen Große
Der Glaube der anderen
Omnino. 302 Seiten. 20 €
Der Historiker und Philosoph beschreibt diverse Glaubenswelten auf ungewöhnliche Art: nicht von ihren Inhalten her, sondern daher, wie die Menschen sie praktizieren. Herausgekommen sind 55 Figuren, wie etwa »Der endlich Bekehrte«, »Die Anbetungstüchtige« oder »Der Glaubensgeschäftige«. Die glossenartigen Porträts oszillieren zwischen scharfer Beobachtung, bissig-ironischer Zuspitzung und milder Karikatur. Manches Vertraute erscheint in neuem Licht, eine Reihe von Typisierungen wirkt freilich konstruiert. Reizvoll bleibt die Grundidee, die Weltbilder in diesem »Weltbilderbuch« (so der Untertitel) nicht durch ihre Theoriegebäude zu charakterisieren, sondern durch die in ihnen zum Vorschein kommende Lebenspraxis. Lutz Lemhöfer
Ruth Gütter/Georg Hofmeister/
Christoph Maier/Wolfgang Schürger (Hg.)
Zukunft angesichts der ökologischen Krise?
Evangelische Verlagsanstalt. 318 Seiten. 25 €
Publik-Forum EDITION
»Das Ende des billigen Wohlstands«
Wege zu einer Wirtschaft, die nicht zerstört.»Hinter diesem Buch steckt mein Traum von einer Wirtschaft, die ohne Zerstörung auskommt. / mehr
»Theologie neu denken« lautet der Untertitel des Buches. Damit ist eine Aufgabe gemeint, die sich angesichts der epochalen Krisen der Gegenwart – der ökologischen Krise und der Corona-Krise – für die theologische Reflexion stellt. Mit Verweisen auf das im babylonischen Exil entstandene Buch Deuterojesaja und auf die Entwicklung der Theologie Dietrich Bonhoeffers während des Nationalsozialismus wird gezeigt, wie sehr Krisenzeiten theologische Paradigmenwechsel ausgelöst haben. In drei Feldern werden Ansätze zu einer dringend anstehenden Revision überkommener theologischer Topoi und Narrative vorgestellt: in der Schöpfungstheologie, in der Christologie und Eschatologie sowie in der Anthropologie und Sozialethik. Es wird gezeigt, wie davon Orientierung und Impulse für ein christliches und kirchliches Handeln ausgehen, das sich der Notwendigkeit einer sozial-ökologischen Transformation der Welt bewusst ist und einen Beitrag dazu einbringt. Ein anregendes Buch! Norbert Mette
Anika Neugart
Simply Green
Oekom. 304 Seiten. 24 €
Minimalismus, Slow Fashion, Veganismus – sind das nur Trends oder dauerhaft neue Lebensstile? Die Kulturwissenschaftlerin Anika Neugart stellt 17 Ideen vor, die nachhaltig sein wollen. »Von Achtsamkeit bis Zero Waste: Nachhaltige Lebensstile im Faktencheck«, so der Untertitel. Sie untersucht, ob es sich um eine vorübergehende Mode handelt oder ob die Idee alltagstauglich und nachhaltig ist. Nicht immer kommt sie zu eindeutigen Bewertungen. Ein Minihaus (»Tiny House«) mit geringer Wohnfläche etwa ist nachhaltiger als ein Einfamilienhaus, aber nicht so nachhaltig wie eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus. Das Buch zeigt: Nachhaltig zu leben muss nicht Verzicht bedeuten, es kann auch attraktiv sein. Das Modewort »Faktencheck« im Untertitel führt allerdings in die Irre. Das Buch liefert Bewertungen, gibt Hinweise, harte Fakten werden nicht geprüft und auch keine »Fake News« aufgedeckt. Christine Weber-Herfort
Corine Pelluchon
Das Zeitalter des Lebendigen
wbg Academic. 320 Seiten. 50 €
Der französischen Philosophin, die seit einiger Zeit auch in Deutschland Aufmerksamkeit erregt und mit Preisen geehrt wird, geht es um eine radikale Veränderung unserer Denkungsart und Lebensweise. Am zivilisatorischen Projekt der Aufklärung muss weitergearbeitet werden. Wertschätzung gegenüber dem Lebendigen, nicht Ausnutzen; Erkennen der eigenen Verletzlichkeit und Eingebundenheit statt praktischer Herrschaft und gedanklicher Ignoranz – das sind wichtige Schritte zur Erneuerung. Pelluchon gibt zu denken und fordert uns zu ehrlicher Selbstbesinnung auf. Das Buch eignet sich nicht für den Nachttisch, wohl aber für Gemeinschaften, Kreise und Projektgruppen, die nicht auf die große Veränderung von oben warten wollen, sondern vor Ort eine wertschätzende Transformation der Lebens-, Arbeits- und Lernwelten erproben wollen. Leicht ist das nicht, ganz leicht ist auch die Lektüre nicht, aber ermutigend. Arne Manzeschke
Reinhard J. Voß
50 Jahre Ökumene von unten. 1970-2020
BoD – Books on Demand. 278 Seiten. 10 €
Mystik und Politik, Beten und Handeln, Kampf und Kontemplation – Reinhard Voß hat seine Autobiografie vorgelegt. Er beschreibt darin seinen Wandel vom stockkonservativen römischen Katholiken zum weltoffenen ökumenischen Christen. Ein Wachsen in christlichen Gemeinschaften, wo er nun, siebzigjährig, Rückschau hält: Würzburger Synode und Taizé; Ökumenischer Prozess; Initiative Eine Welt und Ökumenische Gemeinschaft Wethen, Initiative Kirche von unten, katholische Friedensbewegung pax christi und Eirene International; Schalomdiakonat und Ziviler Friedensdienst. Diese spannende und gut lesbare Darstellung eines lebenslangen ökumenischen Weges an der Basis kennt auch viele Momente der Erschöpfung, des Scheiterns, der Stagnation, der Irrwege. Das Leiden an einer fortgesetzt apathischen, selbstbezüglichen Kirche und Gesellschaft wird durch viele ermutigende Erfahrungen in der konkreten Friedens- und Gerechtigkeitsarbeit aufgehoben. Ein Mutmachbuch, den Weg der weltweiten Solidarität in jesuanischer Nachfolge zu wagen! Thomas Wagner