Literatur-Tipp
Yunus sucht die Lebensspuren seines Vaters
Roman. Der 13-jährige Yunus lebt mit seiner Mutter in einem Mehrfamilienhaus in Hannover, nur wenige Straßen weiter liegt sein Vater mit dem Locked-In-Syndrom in einem Pflegeheim. Nach zwei Schlaganfällen aus dem Koma erwacht, ist er noch bei Bewusstsein, kann aber nur noch die Augen bewegen. Yunus besucht ihn immer sonntags. »Im Krankenzimmer meines Vaters stellte ich mich vor sein Bett und ließ die Hände baumeln. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte zu jemandem, der nicht antwortet. Ich schaute ihm in die Augen. In seine dunklen, braunen Augen, und er sah zu mir. Er erkannte mich, zumindest nahm er wahr, dass jemand vor ihm stand.« Zehn Jahre vergehen, in denen Yunus langsam erwachsen wird. Der Vater ist nah, doch unerreichbar, und der Sohn redet sich ein, dass ihm das nichts ausmache. »Da war ein Gefühl in meiner Brust, aber ich hatte keinen Namen dafür.« Yunus zeigt sich oft abweisend und lethargisch, sucht Kontakt zu sich selbst, in Freundschaften und zum Leben, wenn er E-Gitarre spielt, Bücher liest. Doch als der Vater stirbt, nimmt er sich vor, dessen Lebensspuren zu finden. Der Autor Deniz Utlu schickt seine Ich-Figur, mit der er autobiografische Ähnlichkeiten teilt, zur Herkunftsfamilie in die jahrtausendealte Stadt Mardin im türkischen Teil Mesopotamiens, nach Istanbul und Hannover. Yunus merkt, dass es weniger darum geht, wie sich die Dinge tatsächlich zugetragen, sondern wie sie sich angefühlt haben und dass zur Erinnerung auch Märchen und Mythen gehören.
Deniz Utlu gehört zu einer jungen Generation deutschsprachiger Schriftsteller, deren Väter und Mütter eingewandert sind. Sein Roman ist reich an anschaulich und sensibel geschriebenen Szenen, die tiefen Eindruck hinterlassen.
Deniz Utlu: Vaters Meer.
Suhrkamp Verlag. 384 Seiten. 25 €