Editorial
Warum jetzt Aufgeben keine Option ist, was Christsein im Kapitalismus bedeutet und wie sich die Friedensarbeit verändert hat
ich gestehe: Auch ich habe mir die Lage vor der Wahl in den USA schön interpretiert. Gab es da nicht diese Umfrage aus dem republikanischen Iowa, die Kamala Harris vor Donald Trump sah? Gab es nicht die Berichte, junge Frauen würden sich scharenweise in die Wahlregister eintragen, weil sie nicht von einem frauenfeindlichen, lügnerischen, vorbestraften Protofaschisten regiert werden wollen? Doch wahlentscheidend war die Angst der Menschen vor der Inflation, dem Wohlstands- und Sicherheitsverlust. Meine Tochter hat mir von ihrer fassungslosen Freundin aus Pennsylvania erzählt: Ihre Eltern, überhaupt nicht rechts, hatten Trump gewählt. Sie mögen ihn nicht, aber sie hoffen, dass mit ihm die hart erarbeitete Altersvorsorge bleibt.
Warum hatten die Demokraten auf diese Ängste keine guten Antworten? Und wie geht es weiter, wenn in den USA ein Gruselkabinett regiert? Wie geht es weiter in Deutschland, wo die Ampel-Koalition in bitterem Streit zerbrochen ist? Constantin Wißmann sucht in seinem Essay ab Seite 12 Antworten, vor allem aber sagt er: Aufgeben hilft nicht. Gerade jetzt ist es wichtig, die Zivilgesellschaft zu stärken, die Kräfte des Gemeinsinns.
Es ist ein Gedanke, der sich durch diese Ausgabe zieht. »Wenn sich der Kapitalismus als Lebensform durchsetzt, wird das Leben gnadenlos«, sagt der Grazer Theologe Rainer Bucher im Gespräch mit Michael Schrom auf Seite 30. Und dass das Christentum hier einen Gegenentwurf liefern kann, der Wert und Würde jedes Menschen und alles Lebendigen überhaupt in den Mittelpunkt stellt. Tröstlich finde ich den Satz: »Die Rettung der Welt ist ein Privileg Gottes.« Wir sollen das Unsere tun. Aber wir stehen nicht in der täglichen Weltrettungspflicht, die uns nur überfordern kann.
Publik-Forum EDITION
»Das Ende des billigen Wohlstands«
Wege zu einer Wirtschaft, die nicht zerstört.»Hinter diesem Buch steckt mein Traum von einer Wirtschaft, die ohne Zerstörung auskommt. / mehr
Auch das Generationengespräch ab Seite 44 zwischen Ute Finckh-Krämer und Yasmina Steck über die Frage, was heute Friedensarbeit bedeuten kann, ist ein Hoffnungsbeitrag. 40 Jahre Altersunterschied liegen zwischen den beiden Frauen, sehr unterschiedlich sind ihre politischen Ansätze. Und doch verbindet sie das Bewusstsein: Wir können etwas tun. Und was wir tun, ist nicht vergebens.
Eine inspirierende Lektüre wünscht
Matthias Drobinksiist Chefredakteur von Publik-Forum. Er leitet das Ressort »Politik & Gesellschaft«.
Foto: Alessandra Schellnegger