Angst
Der Vorgang der Pandemie hat mich verstummen lassen. Ich habe Angst! Ich will leben, überleben. Seitdem habe ich nichts mehr ins Tagebuch geschrieben, aus Angst, es könnte das Letzte sein. Alte Wunden brechen auf: Wie ich mich bedroht fühlte, meines Lebens nicht sicher als Kind in meinem Umfeld und mit der Waffenbedrohung des Kalten Krieges. Ängste, die ich überwunden glaubte oder die ich doch bearbeitet hatte, werden wieder groß in mir und wollen mich erstarren lassen. Reglos sitze oder liege ich da und lese Informationen oder sehe gar Videos zu Corona.
Ich muss jetzt mein Immunsystem stärken! Aber so gut ich mich auch ernähre und von äußerem Stress abzuschotten versuche, meine Dauererkältung, die ich schon seit Januar habe, geht nicht weg. Ich werde nicht so stark, oder bin ich im Zweifelsfall doch stark genug? Gehöre ich mit 63 Jahren schon zu den »Älteren«? Die Angst schwächt mich und auch das Ausgeliefertsein an das Verhalten der Anderen. Da ich in Gemeinschaft lebe, habe ich ständig vor Augen, wie »locker« andere sich verhalten …
Bin ich übertrieben wachsam, kontrollierend?
»Irgendwann schlägt die Natur zurück.« Der Satz ist lange schon in mir … hätte sie nicht noch dreißig Jahre warten können?
Wie egoistisch bin ich denn?
Alle meine und unsere Bemühungen um einen gesünderen Planeten, um gerechtes Leben für alle scheinen gescheitert.
Ist das nun wirklich eine Chance oder nur der Beginn einer Kette von weiteren möglichen Horrorszenarien?
Die chinesischen Tiermärkte so wie unser abartiger Fleischkonsum hören jedenfalls nicht auf jetzt. Noch nicht einmal die Tiermärkte …!
Wenn ich zwischendurch fühlen kann, dass wir alle im selben Boot sitzen und wir hier sogar sicherer, geht es mir kurz besser.
Der Lebenswille ist so stark!
Auch meine alten und ewigen Fragen danach, ob ich mit dem Tod vernichtet bin, brechen wieder auf als quälende Bedrohung. Was hilft, ist: Rezepte ausprobieren, putzen, Musik hören, ein Spaziergang, wenn nicht zu viele andere unterwegs sind. Singen, Flöten geht gerade nicht wegen Halsweh und bleibt mir auch so »im Halse stecken«. Kräuter sammeln und Gartenarbeit sind so gut, geht gerade auch nur kurz. Ich schaue auch Serien, sie lenken mich ab, und manchmal schlafe ich dabei ein, denn ich schlafe auch schlecht. (Nicht gut fürs Immunsystem!) Ja, ich fühle mich unter Druck, immer aufzupassen, auch was die Gemeinschaft macht, und zu reagieren. Eigentlich bin ich dessen so müde und möchte nur entspannen. Normalerweise lese ich viel, und es hat eigentlich immer geholfen. Ich schreibe Gedichte und Autobiografie. Das geht gerade alles nicht, ist gelähmt. Manchmal male ich neuerdings, das ist das Beste! Malen mit Musik. Es nimmt meine ganze Konzentration fürs Schauen, Farbenmischen, Ausprobieren, und ich habe für kurze Zeit losgelassen.
Publik-Forum EDITION
»Das Ende des billigen Wohlstands«
Wege zu einer Wirtschaft, die nicht zerstört.»Hinter diesem Buch steckt mein Traum von einer Wirtschaft, die ohne Zerstörung auskommt. / mehr
Seit ein paar Tagen geht es mir besser, Flöten und Singen geht manchmal wieder, aber ich muss mich vor Panik immer noch hüten. Die Erkältung flaut nicht ab …
Vier Gedichte
Der zerbrechliche Sinn
Kirschblüten
Schmetterlingsflügel
glitzernder Reif in der Morgensonne
Lächeln im Vorübergehen
Sonnenwärme auf der Haut
Regenrauschen
trägt er?
Er trägt
solange er mein Herz berührt
erwärmt und löst
mich innerlich beweglich macht
in aller Zerbrechlichkeit
hat er das Zeug dazu
Ich tauche in Deine Augen
Danke für diesen Augenblick
Voller Wärme und Durchlässigkeit
Einem »Ja« für mich
Ermutigung
Verwandtschaft
Ich schaue aus dem Fenster
Alles sieht zauberhaft nach Frühling aus.
Die Sonne wärmt, der Kirschbaum blüht,
die Petersilie hinter der Scheibe
auf dem Fensterbrett sprießt erträglich.
Draußen weht eisiger Ostwind,
unerträglich und aggressiv.
Das kalte Weit der Sterne
Der warme Sonnenglanz
Der überfordernde Ostwind
Der feuchte Westwind
Der laue Südwind
Eisiger Wind aus Nord
Windstille – Mückentanz
Alle Wipfel schweigen
und aus Wiesen und Seen steigen
graue und weiße Nebel
Morgen- und Abenddämmerung
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Alle Beiträge des Erzählprojektes »Die Liebe in Zeiten von Corona«
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Dies ist ein Beitrag im Rahmen des Erzählprojektes von Publik-Forum »Die Liebe in Zeiten von Corona«. Wir laden unsere Leserinnen und Leser ein zu unserem Erzählprojekt: Bitte schreiben Sie uns Ihre Erfahrungen, Nöte, Ängste und Ihre Zuversicht in Zeiten von Corona.