Auf der Pausentaste unseres Lebens
Ich habe bis vor Kurzem als Krankenpfleger in der Dermatologie gearbeitet. Auf Grund der befürchteten Zunahme von Patienten mit Corona-Infektionen ist meine Station aufgelöst und wir sind als Team auf eine Station verlegt worden, wo wir mit anderen Kollegen ausschließlich Patienten mit Verdacht auf oder bestätigtem Covid-19 (Corona-Virus-Erkrankung) behandeln. Da ich seit über dreißig Jahren als Krankenpfleger gewöhnt bin, Kontakt zu Menschen mit verschiedenen Infektionen zu haben, und dementsprechend Masken und Schutzkleidung trage, habe ich keine Furcht vor Ansteckung.
Ich hätte niemals gedacht, dass mein Beruf so viel Wertschätzung erfahren würde, dass meine Tätigkeit als systemrelevant eingestuft wird und ich für den Fall einer Ausgangssperre einen Passierschein von meinem Arbeitgeber bekommen habe. Auf jeden Fall bin ich froh, dass ich in dieser Corona-Zeit noch zur Arbeit gehen darf. Die fast komplette staatlich verordnete Kontaktsperre hat bei mir einen sehr starken Einschnitt in mein Privatleben bewirkt: keinen Kirchenchor, keinen Handballspielen zuschauen, keine Gottesdienste, keine Konzerte, keinen Kinobesuch, kein Essen im Restaurant, keine Reise, keine Treffen mit meinen Freunden und Verwandten, einfach gar nichts mehr. Letztendlich bedeutet die doppelte Quarantäne – einmal im Krankenhaus zu den isolierten Patienten und andererseits als Single durch die fast vollständigen Kontaktbeschränkungen – eine richtige Herausforderung für mich. Ich hätte nie erwartet, dass ich gemieden werden würde, wenn ich sage, wo ich arbeite.
Ich bin dankbar dafür, dass ich im Rahmen der Corona-Regeln einigen Menschen, die mir durch Patenschaft, Freundschaft oder Verwandtschaft nahestehen, weiterhin einzeln begegnen kann. Da ich weiterhin singen möchte, nutze ich die Möglichkeit verschiedener Kirchen, allein dort zu beten und zu singen. Und da die Natur nicht abgesagt hat, nutze ich meine Freizeit, um an verschiedenen Seen und Flüssen und in Wäldern allein oder zu zweit zu wandern.
Weil ich in dieser Zeit auf echte Begegnungen in meiner Kirchengemeinde verzichten muss, merke ich, dass ich letztendlich allein vor Gott stehe, ohne physischen und geistlichen Beistand. Meine Gemeinde gibt sich Mühe, durch Andachten und Gottesdienste via Internet präsent zu bleiben. Ich halte von solchen virtuellen Begegnungen nichts, weil sie eine Normalität vorspielen, die es nicht gibt. Darum halte ich gelegentliches Schweigen für eine gute Kommunikationsart. Das bedeutet für mich, dass das Virus in unser aller Leben auf die Pausentaste gedrückt hat. Eine echte Gemeinschaft erlebe ich im Gottesdienst nur dann, wenn wirklich Brot und Wein geteilt werden. Große Sorgen bereitet mir der Gedanke, dass das Social Distancing – wie Abstand halten, nicht mehr die Hand geben, geschweige denn Umarmen – so stark verinnerlicht wird, dass die Furcht vor realer Nähe auch über die Corona-Zeit hinaus erhalten bleibt. Ich vertraue als Krankenpfleger darauf, dass die meisten Menschen eine Immunität gegenüber dem Corona-Virus erlangen werden. Ich erlebe im Krankenhaus, dass viele Patienten nicht primär an Covid-19 erkranken und gelegentlich versterben, sondern an ihren schweren Vorerkrankungen.
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In meinen allabendlichen Gebeten an Gott schöpfe ich Mut und Zuversicht, diese Zeit der großen Herausforderung durchzuhalten. Ich freue mich auf den Tag, wo wir uns alle ohne Furcht wieder in die Arme nehmen können!
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Dies ist ein Beitrag im Rahmen des Erzählprojektes von Publik-Forum »Die Liebe in Zeiten von Corona«. Wir laden unsere Leserinnen und Leser ein zu unserem Erzählprojekt: Bitte schreiben Sie uns Ihre Erfahrungen, Nöte, Ängste und Ihre Zuversicht in Zeiten von Corona.