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Das Virus weggesungen

von Veit und Uta Schäfer, Karlsruhe
vom 21.06.2020
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Ein geschlagenes Vierteljahr lang, seit Beginn der Corona-Quarantäne am 15. März, haben Anwohner der Häuser in der Sophienstraße gegenüber der St. Bonifatiuskirche jeden Abend auf der Straße mit und für die Nachbarn zwei, drei Lieder gesungen. Sie folgten damit einem Impuls der Evangelischen Landeskirche Baden, ähnlich wie in Italien und Spanien, die Mitmenschen in der bedrängenden Situation mit Gesang zu erfreuen.

Den Anfang machte ein Ehepaar mit dem Abendlied »Der Mond ist aufgegangen«, gesungen auf seinem rückwärtigen Balkon. Spontan öffneten sich Fenster, die Nachbarn hörten zu, klatschten, riefen Bravo. Am darauffolgenden Abend stimmte bereits eine Nachbarfamilie ein, deren Töchterlein das Abendlied mit dem Horn begleitete, am dritten Abend trat ein Nachbar auf seinen Balkon – untermalte den Gesang mit der Geige.

Nachdem der Abendgesang »hinter dem Haus« ein solch schönes Echo gefunden hatte, kam die Idee auf, die Lieder vor den Wohnhäusern auf der Sophienstraße ertönen zu lassen. Der Mittelstreifen zwischen den beiden Fahrbahnen bot dem kleinen Chor von etwa sechs bis acht Frauen und Männern, der sich allabendlich um 19.00 Uhr versammelte, für seinen Auftritt einen hervorragenden Platz, auf dem sich der vorgeschriebene Abstand halten ließ. Das steigerte das Interesse und die Beteiligung der Nachbarschaft deutlich. Immer mehr Menschen zwischen Schillerstraße und Gutenbergplatz kamen zum Zuhören oder Mitsingen ans Fenster oder auf den Balkon, winkten oder klatschten dem kleinen »Corona-Chor« Beifall. Außer der jungen Hornistin begleitete eine Nachbarin eine Zeitlang mit ihrem Bandoneon die Lieder und gelegentlich ließ sich eine Klarinette vernehmen. Ein über 80-jähriger, ebenfalls aus einer benachbarten Straße, fand sich ein und begleitete auf seiner Gitarre wochenlang den Gesang. Bald sangen einige alleinstehende Damen von ihren Balkonen aus mit. Großmamas und junge Eltern kamen mit ihren Kleinen auf die Balkone, um ihnen vor der Heia ein Schlaflied singen zu lassen. Sonntagabends war stets Beethovens »Ode an die Freude« fester Programmpunkt. Insgesamt erreichten die unverdrossenen Sängerinnen und Sänger in den drei Monaten ein Repertoire von an die 30 Titeln an Volks-, Abend- und Kinderliedern. Waren hinreichend viele Stimmen anwesend, erklangen sogar Kanons.

Je länger, desto öfter kamen Menschen aus anderen Straßen, sogar aus anderen Stadtteilen, Gehbehinderte, Kranke mit ihrer Begleitperson und Menschen im Rollstuhl einmal oder mehrmals vorbei, um von den Gehwegen aus zuzuhören oder mitzusingen. Irgendwie hatten sie von dem Straßengesang erfahren. Passanten, Radfahrerinnen und Radfahrer hielten oft an und stimmten spontan ein, erkundigten sich nach den Gründen für das Abendsingen und ermutigten die Sängerinnen und Sänger zum Weitermachen. Eine Frau, die in einem Altenheim arbeitet und gegen 19.00 Feierabend hat, versuchte oft, per Fahrrad rechtzeitig zum Singen an Ort und Stelle zu sein.

Nicht ohne Wehmut ließ das Spontanchörlein am Sonntag, 14. Juni, seinen Abendgesang nun ausklingen. Auch im Publikum zeigte sich Bedauern darüber. »Die Lage entspannt und normalisiert sich immer mehr. Wir haben vorerst unser Ziel erreicht: den Mitmenschen in dieser völlig ungewohnten Situation auf eine ebenfalls ungewohnte Weise ein wenig Freude, Mut und Zuversicht zu vermitteln. Das war unser Beitrag, das Virus unschädlich zu machen, indem wir es sozusagen wegsangen«, zog einer der beteiligten Sänger ein Fazit.

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Doch schon gibt es erste Pläne, den Abendgesang künftig mindestens einmal in der Woche erklingen zu lassen. Er war einfach zu fröhlich, zu anheimelnd, um ihn ganz aufzugeben. Und Corona ist nicht nötig, um sich auf der Straße zum Singen zu treffen!

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Alle Beiträge des Erzählprojektes »Die Liebe in Zeiten von Corona«

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