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Eine virtuelle Pfingstnovene

von Karin Lindermayr und Siegfried Jahn
vom 12.06.2020
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(Foto: Rainer Köfferlein)
(Foto: Rainer Köfferlein)

Erfahrungen mit der Geistkraft Gottes

Seit zwanzig Jahren gibt es in Solln die ökumenische Pfingstnovene. An den neun Abenden vor Pfingsten finden – normalerweise – in der Alten Sollner Kirche Abendgebete statt, gestaltet von Laien aus den zwei katholischen und zwei evangelischen Gemeinden. Im Mittelpunkt steht dabei der Pfingsthymnus aus dem 12. Jahrhundert: »Komm herab, o Heiliger Geist«.

Sich in der kleinen Kirche zu versammeln, das war wegen Corona heuer nicht möglich. Sollte also 2020 das erste Mal nach so vielen Jahren unsere Pfingstnovene ausfallen? Kein gemeinsames Beten um den Heiligen Geist – wegen Corona?

Zunächst gab es die Idee, jede/r könne ja persönlich am Abend beten. Zu den neun Versen der Pfingstsequenz gab es bereits die Bilder, die wir normalerweise in der Alten Sollner Kirche gemeinsam über einen Beamer betrachtet hätten. So entstand ein schönes Heft zur Pfingstnovene mit den neun Bildern und Gedankenimpulsen dazu.

Aber bei der Vorstellung, diese neun Abende alleine zu beten, nicht jeden Abend miteinander zu singen und zu beten, spürten wir: Da geht uns etwas Entscheidendes ab.

Und so entstand die Idee: Könnten wir uns nicht zu einer virtuellen Pfingstnovene im Netz in einer Videokonferenz treffen?

Ein kleiner Kreis hatte bereits in der »gottesdienstfreien Zeit« Hausgottesdienste am Sonntag gemeinsam virtuell gefeiert. Diese Gruppe war schnell begeistert. Andere waren skeptisch, ob dieses Medium durchlässig sein kann für den Geist, den wir all die Jahre bei der Pfingstnovene erlebt hatten. Videokonferenz, das ist gut in der Arbeit, wenn alle im Homeoffice sind. Aber geht das auch für eine Andacht zum Heiligen Geist? Das ist doch irgendwie zu intim. Andere konnten es sich überhaupt nicht vorstellen, weil sie noch nie in einer Videokonferenz waren und schon froh sind, dass sie Mails und WhatsApp beherrschen. Von Familien, die schon Geburtstage über eine Videokonferenz gefeiert hatten und sich so auch zu einem gemeinsamen virtuellen Osterfrühstück getroffen haben, gab es viel Zuspruch. Den Ausschlag gab dann unser Gemeindereferent mit dem ermutigenden Spruch von Pippi Langstrumpf: »Das haben wir noch nie gemacht. Also wird es gut gehen.«

Neun Gemeindemitglieder haben jeweils einen der neun Abende vorbereitet. Zu klären war: Wie geht das gemeinsame Singen und Beten, das Anzünden der neun Kerzen, das gemeinsame Betrachten eines Bildes, wie ist eine Stille da auszuhalten und wie können Fürbitten von vielen frei formuliert gesprochen werden? Schnell haben wir gemerkt, dass man das auch technisch gut vorbereiten muss. Manche, die noch nicht so fit mit ihrem Laptop waren, wollten gerne eine Schnupper-Videokonferenz machen und waren überrascht, wie unkompliziert das ist. Jeden Abend um 19.30 Uhr wurde ein Link verschickt, mit dem man sich in die Videokonferenz einklinken konnte. Anfangs dauerte es bis zum offiziellen Beginn um 19.45 Uhr, bis alle einander sehen und hören konnten. Technisch haben wir schnell gelernt, dass eine oder einer vorsingen oder vorbeten muss, alle mitsingen und mitbeten können und dazu ihr Mikro stumm schalten müssen, damit es wegen des Zeitverzugs bei der Übertragung nicht zu Verzerrungen kommt. Auch bei den freien Fürbitten hat man schnell gesehen, dass jetzt jemand was sagen möchte, wenn er sein Mikro freigeschaltet hatte.

Es blieb die Frage: Kann auf diese Weise ein geisterfüllter Raum entstehen?

Wir waren alle überrascht, wie schnell die Technik in den Hintergrund getreten ist. Das gemeinsame Beten und Singen um die Geistkraft Gottes wurde zu einer intensiven spirituellen Zeit. Es war ein großes Geschenk, ein bereicherndes Geben und Nehmen.

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Zwischen 20 und 25 Menschen haben sich allabendlich eingeklinkt. Mit jedem Abend sind wir mehr zusammengewachsen. Wie es der Zufall will – oder war es das Wirken der Geistkraft Gottes? –, waren die Bilder für dieses Jahr Fotos von Details der Alten Sollner Kirche. Und somit war dieser schöne Gottesdienstraum jeden Abend gegenwärtig. Ohne Masken konnten wir uns von Angesicht zu Angesicht sehen und das Strahlen in den Gesichtern. Es war, wie wenn man in einem Kreis sitzt, statt nur die Hinterköpfe der Menschen vor einem in den Kirchenbänken zu sehen. Die Bildbetrachtungen waren inspirierend und regten zum Nachdenken an. Und eine Minute schweigen konnten wir auch am Laptop gut aushalten. Mit der entstandenen Vertrautheit teilten wir in sehr persönlich formulierten freien Fürbitten ein Stück Leben miteinander – Sorgen, Nöte, Freuden.

Zu unserer Pfingstnovene gehört jedes Jahr das Feuer: Da gibt es einen neunarmigen Kerzenleuchter, mit einer Kerze für jeden Abend. Und am Pfingstsamstag gab es all die Jahre ein großes Pfingstfeuer. Wie sollte das gehen, das Element des Feuers virtuell zum Leuchten zu bringen?

Den neunarmigen Kerzenleuchter, an dem jeden Abend eine Kerze mehr angezündet wurde, konnten wir alle gut sehen. Er stand im Zimmer einer Teilnehmerin.

Wie aber sollte das mit dem Pfingstfeuer gehen? Auch dafür fanden wir eine Lösung.

Statt des wirklichen Feuers haben wir Fotos von den Pfingstfeuern der letzten Jahre angeschaut und uns an der Erinnerung gefreut.

Nach dem letzten Abendgebet am Pfingstsamstag »saßen wir noch lange zusammen«, in einer Abschlussrunde zum Austausch über unser Experiment. In den Rückmeldungen wurde deutlich, wie froh wir alle waren, dass wir uns auf dieses Abenteuer eingelassen hatten. Wir haben gespürt, welche Kraft, Spiritualität und Hoffnung in den Hausgottesdiensten liegt, die wir Laien selbst anstoßen und gestalten können. Wir haben die Ermutigung mitgenommen, immer wieder so zu feiern – wie diesmal im Netz oder auch in unseren Häusern und Wohnungen. Gleichzeitig waren wir uns alle einig, dass wir uns sehr darauf freuen, die Pfingstnovene im nächsten Jahr hoffentlich wieder in der Alten Sollner Kirche feiern zu können, dann auch mit echtem Pfingstfeuer im Pfarrgarten.

Gottes Geistkraft weht, wo und wie sie will. In diesem Jahr hat sie uns in einer neuen Weise zueinander geführt, Beziehung gestiftet, gestärkt, getröstet, begeistert.

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Alle Beiträge des Erzählprojektes »Die Liebe in Zeiten von Corona«

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