Fräulein Corona
Dienstag früh, 7 Uhr klingelte es an meiner Tür: Wer mochte das so früh sein? Erschrocken öffnete ich: Fräulein Corona stand davor und schob sich mit ihrem dicken Bauch sofort an mir vorbei in die Wohnung.
Ehe ich sie auch nur ansprechen konnte, stand sie schon im Wohnzimmer und sah sich um.
Ich setzte mich aufs Sofa, unaufgefordert setzte sie sich sofort neben mich.
Wir sahen uns an. »Was willst du hier?«, fragte ich endlich. Sie lächelte süffisant. »Dich besuchen.«
Sie ruckelte sich bequem zurecht: »Schön hast du´s hier«, sagte sie, »vor allem die Aussicht gefällt mir.« »Obwohl«, sagte sie, »du könntest mal wieder die Fenster putzen.«
So eine Unverschämtheit! Ich hatte keine Lust, mit so einer aufdringlichen Person ein Gespräch zu beginnen, fühlte ich mich doch etwas schlapp, hatte Kopfschmerzen und bisschen Fieber. Mit dem Hinweis darauf kicherte sie nur und meinte, dies seien die Begleiterscheinungen, die sie überall hinschicke und mitbringe.
Auf meine Frage, ob es ihr Spaß mache, Krankheiten zu verteilen, rieb sie sich vergnügt ihre Spinnenhände und meinte lapidar, dies sei ihre Aufgabe im Leben.
Dann stand sie auf und ging in die Küche. Mit ihren langen Fingern schälte sie meine letzte Apfelsine und aß sie genüssich auf.
Und dann sprach sie: »Ich habe beschlossen, länger zu blieben, vielleicht so zehn Tage...« Listig blinzelte sie mich an.
»Rück‘ mal ein Stück auf dem Sofa«, sagte sie, »da kann ich den Meisen besser zugucken, wenn sie sich auf deinem Balkon ihr Futter holen.« Und sie kuschelte sich in meine warme Allgäuer Wolldecke ein.
Ich war fassungslos. So eine unverschämte Person! Sie begleitete mich überall hin: Im Bad guckte sie mit mir in den Spiegel und befand gnadenlos, dass ich alt und faltig aussehe. Sie grinste.
Zurück auf dem Sofa versuchte ich, in der »Zeit« zu lesen. Dauernd guckte sie mir über die Schulter, gähnte, befand die Artikel, die über sie geschrieben standen, als langweilig. Es nervte.
Später machte sie zwei große Sätze und kuschelte sich in mein Bett. Da lag sie dann die ganze Nacht neben mir. Meistens hielt sie mich vom Schlafen ab, mich nervten Kopfschmerzen. Gereizt sagte ich ihr, dass ich es nett finden würde, wenn sie aus meinem Bett verschwinden würde.
Immerhin erhob sie sich kurz, um aus einer ihrer vielen Kitteltaschen eine Ibuprofen rauszukramen. Sogar Wasser brachte sie mir.. Dann lag sie aber auch schon wieder neben mir.
»Mich gibt‘s schon seit Menschengedenken«, erklärte sie mir, »und es wird uns immer geben.« Und fröhlich fügte sie hinzu »Und: Wir mutieren gerne!« Blödes Fräulein Corona. Braucht kein Mensch.
Resigniert drehte ich mich zur Seite und beschloss, zu warten, bis sie freiwillig wieder gehen würde. Oder sie umzubringen. Hätte Lust, sie in einen Müllsack zu stopfen und in die schwarze Tonne zu werfen...
Aber ich glaube, sie ahnt meine Gedanken und entwischt vorher ...
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Wege zu einer Wirtschaft, die nicht zerstört.»Hinter diesem Buch steckt mein Traum von einer Wirtschaft, die ohne Zerstörung auskommt. / mehr
Alle Beiträge des Erzählprojektes »Die Liebe in Zeiten von Corona«
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Dies ist ein Beitrag im Rahmen des Erzählprojektes von Publik-Forum »Die Liebe in Zeiten von Corona«. Wir laden unsere Leserinnen und Leser ein zu unserem Erzählprojekt: Bitte schreiben Sie uns Ihre Erfahrungen, Nöte, Ängste und Ihre Zuversicht in Zeiten von Corona.