Neue Glanzlichter entzündeten sich!
Als Mitte März das gewohnte Leben für uns zusammenbrach, kam ich, was Geld betraf, unbeschadet davon, denn die Rente trifft pünktlich ein. Da man aber von Geld allein nicht leben kann, flogen mir schnell die Fetzen meines streng gegliederten Tagesablaufs mit vier Berufen um die Ohren: Zwar bleib die allmorgendliche Übestunde an der Orgel, wo ich für die Geläufigkeit meiner Finger sorgte; auch die Führung des Haushalts und Versorgung des großen Gartens gingen weiter. Aber Nachmittage und Abende gerieten aus den Fugen: Meine Aufgaben als Ortspolitikerin mit Sitzungen und Wahlkampfvorbereitungen fielen flach. Vorträge, die ich hören und selbst halten wollte, wurden gestrichen. Zwar konnte ich mich in Ruhe meiner Tätigkeit als Verlagslektorin widmen; aber das Erlöschen von Glanzlichtern wie Theater, Konzerte, kleine Reisen ließ mich frösteln.
Ich klagte nicht; andere hatten es viel schwerer. Und mit der Zeit machte ich eine Entdeckung: Neue Glanzlichter entzündeten sich! Anrufe von Freunden, die sich nach meinem Befinden erkundigten, Überraschungstüten an der Türklinke des Hauses (zum Beispiel eine kostbar verpackte Rolle Klopapier!), begeisterte Ansprache aus zwei Metern Abstand auf der Straße, Herausforderungen in Zeitung und Zeitschriften an Leser, Stellung zur Corona-Zeit zu nehmen, regelmäßiges Glockengeläut statt Verkehrslärm und nicht zuletzt das Erscheinen von Schlüsselblumen, das Aufblühen der Tulpenbäume ließen mein Herz höher schlagen.
Ich antwortete auf jedes dieser Lichtzeichen in irgendeiner Form: dankte – schrieb – gab meine Freude weiter – machte Geschenke »außer der Reihe«.
Ich empfinde glückvolle Erwartung angesichts jedes neuen Tages und werde diese in vieler Hinsicht bitteren Monate als eine Zeit der Mitmenschlichkeit in Erinnerung behalten.
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