Tod von Papst Benedikt
Er hat die Verbrecher geschont
Joseph Ratzinger verkörperte wie kein Zweiter die institutionellen Eigenheiten der katholischen Kirche, die mit ihren geheimnisvollen Ritualen Menschen vielfach fasziniert und unter der zugleich sehr viele Menschen zu leiden hatten und haben. Den Tausenden von Missbrauchsopfern seiner Kirche in aller Welt wird er in unguter Erinnerung bleiben als langjähriger Verantwortlicher jenes Systems, dem sie zum Opfer fielen.
Als 13-jähriger Junge wurde Joseph Ratzinger auf ein kirchliches Seminar geschickt, um sich auf den Priesterberuf vorzubereiten. Wir wissen heute, dass diese Einrichtungen häufig Brutstätten von Gewalt und Missbrauch waren. Falls er damit in Berührung kam, sprach er nie davon. Bildung und Aufstiegschancen verdankten sich seiner Bereitschaft, sich dem Zölibat zu verschreiben und Priester zu werden. Diese »freiwillige Ehelosigkeit« im Austausch für lebenslange Versorgung und Zugang zu Leitungsaufgaben stellt für uns heute eine Instrumentalisierung von materieller Not zum Zwecke der Nachwuchsrekrutierung dar, trägt aber zugleich auch zur besonderen Aura der katholischen Kirche bei. Bis zu seinem Tod bewegte er sich nun 80 Jahre ausschließlich in den Sphären der katholischen Kirche.
Er diente ihr als Priester und Theologieprofessor. Als Münchner Erzbischof erlaubte er einem notorischen Missbrauchstäter, dem aus dem Bistum Essen nach München zur Behandlung überwiesenen Peter H., die Rückkehr in den Pfarrdienst in Gemeinden in Oberbayern, wo dieser Serientäter in der Folge jahrzehntelang weiter Kinder missbrauchte. Diese Großzügigkeit gegenüber Tätern hat er auch bei anderen Fällen gezeigt, die ihm in seinen 25 Jahren an der Spitze der Glaubensbehörde in Rom bekannt wurden. Er zeigte große Milde selbst mit schlimmsten Verbrechern wie dem Priester Lawrence Murphy, der viele gehörlose Kinder missbraucht hatte. Er wurde nicht aus dem Priesterstand entlassen, weil man dem inzwischen Erkrankten die letzten Tage nicht beschweren wollte.
Die Bischöfe in den USA, die wegen der Enthüllungen schon in den 1990er-Jahren unter Druck standen, entlastete Benedikt mit einer Anordnung, dass künftig alle Akten über Missbrauchsfälle in seine Glaubenskongregation übermittelt werden sollten. In Rom, auf exterritorialem Gebiet des Vatikanstaats, waren diese Akten sicherer als in den Bistümern, wo jedenfalls in den USA Durchsuchungen und Beschlagnahme drohten. Das päpstliche Geheimnis, das den Umgang der Kirche mit diesen Tätern umgab, löste erst sein Nachfolger bedingt auf.
Bald schon sollten Tausende Fälle aus aller Welt in seinen Büros eintreffen und die kleine vatikanische Bürokratie überfordern. Als dann 2010 auch in seiner Heimat Missbrauchsfälle bekannt wurden, äußerte er sich dennoch überrascht. Sein größtes Versäumnis in der weltweiten Missbrauchskrise der katholischen Kirche war ohne Zweifel der Fall Marcial Maciel. Der Gründer der Ordensgemeinschaft Legionäre Christi hatte über Jahrzehnte Kinder und Jugendliche, die ihm zur kirchlichen Ausbildung anvertraut waren, sexuell missbraucht und nebenbei ein Milliardenvermögen zusammengerafft. Zu Lebzeiten des inzwischen heiliggesprochenen Johannes Paul II., der Maciel protegierte, ging Ratzinger nicht gegen den Erzschurken vor, obwohl er von Opfern früh auf die Verbrechen hingewiesen wurde. Er bestrafte Maciel nach seiner Wahl zum Papst »mit einem Leben in Buße und Gebet«. Den von Maciel gegründeten Orden, in dem es nicht wenige Mitwisser und Komplizen gegeben hatte, ließ er aber unangetastet, um das Vermögen für die Kirche zu bewahren.
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Er war in seiner Amtszeit wie kein Vorgänger mit sexueller Gewalt durch Kleriker konfrontiert, weil sich draußen in der Welt der Wind gedreht hatte und allmählich das kirchlich genährte Tabu nachließ, zuerst in den USA, später auch in Irland und schließlich bei uns. Mehr und mehr Opfer meldeten sich zu Wort. Er hat das nicht verstanden. Für ihn war die Liberalisierung der Sexualmoral ab den 1960er-Jahren der Grund für die vielen Missbrauchsfälle. Dabei war es umgekehrt: Die Liberalisierung hatte es erst möglich gemacht, dass immer mehr Menschen Möglichkeiten gesehen haben, über das zu sprechen, was ihnen angetan worden ist.
Seinen Rücktritt umgeben bis heute Gerüchte. Bei der Recherche für den Film »Verteidiger des Glaubens« (2019) von Christoph Röhl konnten wir den Verdacht letztlich nicht beweisen, aber es erschien uns mehr als wahrscheinlich, dass sein Rücktritt auch mit der Erkenntnis zusammenhing, dass er an der Spitze seiner Kirche von Lügnern, Betrügern und Missbrauchstätern umgeben war. Nach dem Tode seines Mentors Johannes Paul II. 2005 wollte er die Zügel selbst in die Hand nehmen, ermuntert und manchmal auch instrumentalisiert von seinem Umfeld. Doch wie der Zauberlehrling ist er an dieser Aufgabe gescheitert. Sein größter Dienst an der Kirche war tatsächlich sein Rücktritt.
Der von kirchenpolitischen Unterstützern so genannte »Mozart der Theologie« war am Ende einfach steckengeblieben im Abwehrkampf gegen die Moderne. Wo sein großer Rivale Kardinal Martini feststellte, die Kirche sei 200 Jahre hinter der Zeit zurückgeblieben und müsse diesen Rückstand dringend aufholen, hielt Ratzinger an einem Kirchenbild fest, das starr gegen diese Moderne stand, frei nach dem Motto »Die Kirche hat immer Recht, und außerhalb von ihr gibt es kein Heil.«
Er wollte seine Kirche erneuern, doch nach seinen Vorstellungen. Dafür hat er Theologen mundtot gemacht und Erneuerungsbewegungen an der Basis bekämpft. Er ist zweifelhafte Allianzen eingegangen und hat Milde gegen Verbrecher gezeigt – ein hoher Preis für ein letztlich gescheitertes Vorhaben. Denn am Ende ist die katholische Kirche erneuerungsbedürftig wie nie.
Matthias Katsch ist Geschäftsführer beim Verein Eckiger Tisch, der Betroffene sexueller Gewalt in der katholischen Kirche vertritt.
Dr. med.Karl Horst Wirz 10.01.2023, 09:38 Uhr:
Herr Katsch hat es auf den Punkt gebracht: Der Ruf der Kirche war für ihn wichtiger als alles andere. Die ungeheuer große Zahl missbrauchten Kinder und Jugendliche durch Priester galt es zu vertuschen und das oft genug lebenslange Leid der Missbrauchsopfer war ihm nicht wichtig.
Wenn es so etwas wie ein Fegefeuer geben sollten, er hat es sicher verdient!